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Nur der Wandel ist konstant: Waren für Humans As Ornaments vor vier Jahren auf ihrer Debüt-EP „The Option To Disappear“ noch Math-Rock, Screamo-Vocals und ein Faible für krumme Takte die wichtigsten Eckpfeiler, öffnet sich das Leipzig-Berliner Duo auf dem nun erscheinenden, genrebrechenden Nachfolger „Flowers On Display“ für Einflüsse aus Post-Punk, Art-Rock, R&B und Hip-Hop, ohne deshalb die Liebe zum kompromisslosen Experimentalismus aufzugeben, der den beiden schon in der Vergangenheit den Weg gewiesen hat. Am liebsten im Dazwischen zu Hause, finden Humans As Ornaments mit natürlicher Neugier als Kompass in ihren neuen Songs scheinbar mühelos den Sweetspot zwischen Ekstase und Eingängigkeit und bleiben doch ganz sie selbst. Das Release-Konzert zur EP geht am 26.07.2025 im Berliner Schokoladen über die Bühne.
Auch wenn manche den Namen Humans As Ornaments jetzt vielleicht zum ersten Mal hören: Newcomer sind Dennis Behrendt und Dave Rossel nun wirklich nicht. Freunde seit Kindheitstagen, machen die beiden „Noisy Dreamers“ nun schon seit fast fünfzehn Jahren gemeinsam Musik und haben sich dabei von „Knockin‘ On Heaven’s Door“-Coverversionen über Stoner-Rock (damals noch unter dem Namen Reversed) zum wandelbar-experimentellen Art-Rock-Sound von Humans As Ornaments vorgearbeitet. Außerdem sind die zwei in einer ganzen Reihe weiterer Projekte aktiv. Dave spielte mit Zouj und der Antilopen Gang, Dennis veröffentlichte als Solist unter dem Namen Zoe Trop, produzierte und schrieb für Emma Philine. Gemeinsam spielen die beiden auch bei Blush Always.
Für „Flowers On Display“ verschieben Dennis und Dave nun ihre musikalischen Koordinaten ein Stück weit. Statt ihr Publikum wie noch auf dem Erstling mit niederschmetternder Wucht zu überrennen, scheinen sie nun ihren Zuhörenden die Hand reichen zu wollen. Dynamisch, kraftvoll und emotional sind die neuen Songs, oder anders gesagt: Auf „Flowers On Display“ wird der Mut zum Experiment durch mehr Mut zur Melodie abgelöst. Gleichzeitig gehen Humans As Ornaments inzwischen weniger verschwenderisch mit ihren Ideen um. Denn während die Songs auf „The Option To Disappear“ noch so viele Drehungen und Wendungen hatten, dass man aus der Handvoll Songs durchaus auch ein Dutzend hätte machen können, sind die genre-fluiden Lieder auf „Flowers On Display“ zwar immer noch alles andere als konventionell, aber dennoch spürbar stringenter in ihrem unmöglich schnell in bequeme Schubladen zu steckenden Facettenreichtum.
Doch nicht nur der Sound von Humans As Ornaments ist ständig im Fluss. In den letzten Jahren hat sich auch die Rolle gewandelt, die die Musik im Leben der zwei spielt. „Die Bedeutung der Musik wird auf jeden Fall immer größer“, sagt Dave im Gaesteliste.de-Interview. „Da gibt es so viele Facetten, aber wenn man vom Jetzt ausgeht: Das ist einfach eine Sache, die mir unglaublich viel Richtung in meinem Leben gibt. Ich habe das Gefühl, daran ständig wachsen zu können. Musik ist ein Raum, wo ich Dinge ausprobieren kann und herausfinden kann, was ich bin und was so in mir drin ist. Das geht durch Musik mega-gut: Sei es im Songwriting, sei es live oder auch in den ganzen anderen Facetten, die daran geknüpft sind, die Videos und die Visuals. Das Ganze ist ein Riesending, an dem ich mich ein Leben lang abarbeiten und lernen kann. In den letzten vier, fünf Jahren ist das deutlich mehr geworden, weil es immer mehr Räume gegeben hat, die das zugelassen haben.“ – „Ich glaube, einer der Gründe, dass ich da weiter dranbleibe, ist, dass mich die Musik immer wieder überrascht“, ergänzt Dennis. „Sie ist ein Ort, an dem ich versuche, mich selbst zu überraschen und auch immer wieder überrascht werde von anderen Musikschaffenden.“
Genau das kann man „Flowers On Display“ auch anhören. Der Wille, weiter mutig und kompromisslos den eigenen Weg zu gehen, ist das Bindeglied zu „The Option To Disappear“, gleichzeitig war es den beiden dieses Mal aber auch ein Anliegen, sich nicht allein hinter einem krachigen Wall of Sound zu verschanzen, sondern ehrlicher, direkter und verletzlicher die Fühler in neue Richtungen auszustrecken, wie sie im Infotext zu „Flowers On Display“ verraten.
Doch ist es Dave und Dennis leichtgefallen, diese Ziele umzusetzen? „Das sind gar nicht unbedingt Ziele, die wir uns explizit gesteckt haben“, erklärt Dave. „Der Text ist entstanden, weil wir beide es sehr gerne mögen, wenn es zu Releases einen persönlichen Einblick zu dem Headspace gibt, in dem sich die Musiker*innen gerade befinden. Das hat es für uns einfach auf den Punkt gebracht. Das war für uns aber keine bewusste Entscheidung. Wir haben nicht vor zwei, drei Jahren gesagt, dass wir etwas machen wollen, das ehrlicher, direkter und verletzlicher ist. Trotzdem hatten wir schon Guidelines, wie wir unsere Musik verändern wollten. Wir hatten auf jeden Fall den Wunsch, einen größeren roten Faden in der Musik zu haben. Gleichzeitig haben wir uns verändert und auch unser Musikgeschmack – auch durch die ganzen anderen Projekte, in denen wir noch unterwegs sind.“
Das hat nicht nur klanglich Spuren hinterlassen, denn schon beim Songwriting hat sich der Fokus verschoben, wie Dennis verrät: „Ich glaube, wir kommen aus einer Songwriting-Tradition, die zuvor sehr stark phonetisch geprägt war. Davon sind wir weggegangen, weil wir Texte schreiben wollten, die mehr mit uns als Menschen zu tun haben und weniger abstrakt sind.“
Das wirft natürlich die Frage auf: Gab es für diese Veränderungen einen konkreten Auslöser, einen Wendepunkt? Eine Frage, die sowohl Dave als auch Dennis mit „Ja!“ beantworten können, auch wenn die Impulse aus ganz unterschiedlichen Richtungen kamen. „Ich habe darüber erst letzte Woche nachgedacht“, verrät Dave. „Ich glaube, bei mir war es ‚To Pimp A Butterfly‘ von Kendrick Lamar! Ich habe letztens gehört, dass jemand gesagt hat, das sei das Album, das alle White People dazu gebracht habe, Hip-Hop zu hören! Das war für mich tatsächlich ein Wendepunkt. Ich dachte so: Alter, das hat viel mehr mit dem zu tun, was jetzt auch in unserer neuen Musik steckt, das finde ich geil, das inspiriert mich und das gibt mir voll das gute Gefühl. Ganz grob gesagt war das einfach mehr Popmusik in all ihren Facetten.“
Auch Dennis findet seine Inspiration inzwischen abseits alter Ideale. „Bei mir ist es richtig selten geworden, dass ich von einer Hardcore-Band geflasht werde, die richtig doll schocken will und diesen Schock durch große Emotionen und Lautsein provozieren will“, gesteht er. „Inzwischen liegt das, was mich begeistert, immer mehr in anderen Bereichen – in der Verletzlichkeit, in Kommentaren oder manchmal auch im Mut zum Kitsch. Ich habe einfach gemerkt, dass ich nicht mehr auf Hardcore-Shows gehe, weil mich das nicht mehr überrascht. Es ist einfach auch mehr so Punk, einfach nur laut zu sein. Ich dagegen wollte etwas machen, das mich selbst überrascht.“
Ein weiterer Grund für die Veränderungen – das ist bereits angeklungen – waren fraglos auch die anderen Projekte, in die Dennis und Dave allein oder gemeinsam in den letzten Jahren eingebunden waren. Das hat gleich auf mehrfache Art und Weise Spuren hinterlassen. Für Dave war es nicht zuletzt der Rollenwechsel, den seine Arbeit mit Blush Always und Zouj mit sich brachte, der besonders reizvoll war: „Ich war es einfach so gewohnt, mit Dennis zu zweit Musik zu machen, mit sehr viel Verantwortung, weil ich eigentlich das einzige harmonische Instrument gespielt habe und gleichzeitig den Songwriting-Hut aufhatte. Deshalb fand ich es mega-erfrischend, in Konstellationen zu sein, wo ich dazugebe, wo ich kommentiere. Das hat mein Gespür für Songs verändert. Das hat mich mehr fokussieren lassen auf viele Einzelteile, die am Ende zusammenkommen. Das finde ich immer noch sehr cool und das trage ich immer noch in mir.“
Bei Dennis dagegen war es seine Arbeit als Produzent und Songwriter für Emma Philine, die am stärksten abgefärbt hat: „Eigentlich nehmen Dave und ich schon Musik auf, seit wir 16 sind, aber die Art und Weise der Routine und wann im Songwriting-Stadium man Musik aufnimmt, hat sich bei Emma Philine stark verändert, weil die Musik so stark von der Musikproduktion beeinflusst ist. Das Projekt hat 2020 gestartet, und da habe ich mich so richtig krass in Musikproduktion reingenerdet. Das hat meinen Blick auf alles – also Songwriting, Sound-Selection, Produktion – komplett verändert und diesen Workflow bis zu einem gewissen Punkt auch bei Humans As Ornaments reingebracht. Das Besondere ist – ähnlich wie das Dave eben bei Zouj beschrieben hat -, dass man einen Song nicht mehr nur spürt, während man ihn spielt, sondern ihn aus der Vogelperspektive betrachtet, während man ihn aufgenommen hat. Das ist ein massiver Unterschied.“
Doch nicht nur klanglich haben Humans As Ornaments an ihren Songs geschraubt. Auch textlich, das hatte Denis bereits angedeutet, gab es neue Impulse für Lyrics im Spannungsfeld von emotionaler Offenheit und digitaler Erschöpfung, mit denen die zwei uns ihre ganz persönliche Sicht auf den alltäglichen Wahnsinn offenbaren, der uns all umgibt. „Das Texten ist bei uns ein bisschen eine Gemengelage“, gesteht Dave. „Ich glaube, wir haben dazu auch ein bisschen unterschiedliche Gefühle. Meine ideale Lyric ist wahrscheinlich etwas, was mich emotional direkt berührt, ohne dass es explizit ausgesprochen wird. Ich finde zum Beispiel King Krule super inspirierend, aber manchmal bin ich auch Fan von sehr einfachen Lyrics, die sehr direkt sind. Das war vielleicht auch ein Lernprozess bei den letzten Songs, dass ich es mega-berührend finde, wenn Lyrics es schaffen, für mich gerne auch irgendwie relativ metaphorisch und relativ abstrakt, mir das Gefühl direkt beim Lesen oder Hören zu übertragen. Das ist natürlich ein krasses Beispiel, aber ich denke, das ist auch das, was mich bei Kendrick Lamar so geschockt hat. Natürlich erzählt er irgendwie vom realen Leben und von seinem Leben, aber eben mega-bildlich, dass die Geschichten, die er erzählt, so eine krasser Aussagekraft haben und so krasse Gefühle erschaffen.“
Erscheinen wird „Flowers On Display“ auf Oddventure, dem DIY-Label, das Dennis und Dave 2021 gemeinsam mit Adam Lenox (alias Zouj) gegründet haben, um „The Option To Disappear“ herauszubringen. Inzwischen auch eine Spielwiese für andere Acts aus dem Umfeld der drei, unterstreicht es trotzdem sehr gut, dass Dennis und Dave den DIY-Gedanken leben. Denn auch wenn sie vor Kollaborationen nicht zurückschrecken – vom Songwriting, über das Einspielen bis zu Covergestaltung und Realisierung der Videos liegt letztendlich alles in den Händen der beiden. Fragt man sie, was für sie das Besondere am DIY-Spirit ist, lässt die Antwort nicht lange auf sich warten. „Ich glaube, es ist das endlose Lernpotential und damit einhergehend die Neugier und das ständige Frischbleiben“, sagt Dennis, verweist aber gleichzeitig auch darauf, dass die zwei den DIY-Begriff nicht allzu eng fassen. „Das muss nicht unbedingt bedeuten, dass Dave und ich alles allein machen. DIY kann ja auch bedeuten, mit anderen zusammenzuarbeiten, die auch wenig Ressourcen haben. Das ist etwas, das wir allerdings in den letzten Jahren – zumindest bei unserem Projekt – noch nicht so viel gemacht haben. Lange hat DIY für uns bedeutet, wir machen es wirklich selber und lernen das und wollen wirklich wissen, wie es geht, damit wir so viel wie möglich von uns selber reingeben und das komplette Ergebnis bestimmen können. Wir hoffen – und ich spreche da einfach mal für uns beide -, dass DIY auch bedeuten kann, durch Kollaborationen mit Leuten, die nur aus intrinsischer Motivation heraus etwas machen, ein Netzwerk aufzubauen mit Menschen, die darin Selbstverwirklichung finden. Es wäre schön, wenn DIY eher ein kulturschaffendes und verbindungsschaffendes Element in der Gesellschaft sein könnte.“
„Ein anderer Aspekt ist, dass wir eine Biografie haben, die überraschend viele Leute teilen, die wir in den letzten Jahren kennengelernt haben und die auch Musik machen, das In-der-Kleinstadt-Aufwachsen und dann irgendwann In-die-Großstadt-Ziehen“, ergänzt Dave. „Die Kleinstadt hat uns früher dazu gezwungen, DIY zu sein, weil es keine Alternative gab. Dadurch haben wir vielleicht auch Persönlichkeiten entwickelt, weil einfach klar ist: Du musst es selber machen – aber du kannst es auch. Egal um was geht, ob Musikproduktion oder Video-Editing. Das ist ja heute immer nur ein Tutorial auf YouTube entfernt.“
Für die Zukunft haben die zwei nach den EP-Veröffentlichungen endlich auch ein erstes Album im Blick, doch das ist noch nicht alles, was sich die zwei für die Zukunft wünschen und erhoffen. „Ich glaube, best case schaffen wir es, in Deutschland diese Art von Musik irgendwie aufs Radar zu bringen und hoffentlich gleichgesinnte Musiker*innen kennenzulernen, mit denen wir Konzerte spielen können, und entsprechend aber auch eine Fan-Kultur um diese Musik kennenzulernen. Ich habe das Gefühl, dass es das eher international gibt mit Acts wie Fontaines D.C., Yves Tumor oder King Krule, aber in Deutschland fehlt uns das ein bisschen. Ich glaube, wir haben das Potential und den Willen, das zu machen. Was wir uns institutionell wünschen, ist eine Bookingagentur, damit wir Konzerte spielen können, ohne im Vorfeld all unsere Zeit dafür aufwenden zu müssen. Ansonsten wollen wir einfach neue Musik schreiben, die noch weiter geht und die Geschichte von Humans As Ornaments weitererzählt und uns selbst begeistert.“ – „Das kann ich nur unterschreiben“, sagt Dave. „Für mich ist es auch, die Idee von Humans As Ornaments noch mehr herauszukehren. Ich glaube, das wird immer ein Ziel bleiben und ist für jeden Release wieder aufs Neue wahr. Primär geht es mir aber darum, ein Album zu schreiben, auf das ich einfach fucking stolz bin und das unsere Idee verkörpert und noch mehr ausreizt.“
Zunächst einmal gibt es gleich am Tag nach der Veröffentlichung von „Flowers On Display“ beim Release-Konzert im Berliner Schokoladen die nächste Gelegenheit, Humans As Ornaments (gemeinsam mit Zylva) auf der Bühne zu erleben. Dave verrät, was uns dort erwartet. „Ich glaube, was man auf jeden Fall erwarten kann, ist Lautstärke. Es wird fucking loud!“, erklärt er. „Es wird eine große Dynamik geben. Es wird sehr intensiv und chaotisch. Es wird gleichzeitig Momente von Einkehr und von Ruhe und schönen Harmonien und schlagartigen Explosionen geben. Es wird vor allem aber auch ein mega-schöner Friends-Abend werden. Die Band, mit der wir den Abend zusammen verbringen, sind Friends von uns, und ich glaube, es wird ein Abend für sehr offene Musikhörer*innen werden. Anything goes!“
Doch wie ist das eigentlich? Sorgen die klanglichen Veränderungen auf der neuen EP dafür, dass die neuen Stücke live schwerer umzusetzen sind? „Es kommt drauf an“, erwidert Dennis. „Ich würde sagen, eigentlich sind die Songs in gewisser Hinsicht leichter, beziehungsweise sie sind technisch schwerer mit den Instrumenten umzusetzen, das erfordert mehr Vorbereitung, aber das Spielerische ist leichter. In unserem krassen Setup von früher habe ich auch noch die Lichtshow getreten. Da hatte ich neben meinem Schlagzeug auch noch Fußschalter für die Lichtshow. Das war ja noch mehr Krach und Math-Rock, und da war ja nur Ausrasten angesagt. Gerade versuchen wir explizit, gewisse Elemente zurückzunehmen in unserem Spiel, damit das, was wir spielen, mehr zählt.“ Wenn Dennis heute an seine Live-Auftritte denkt, erinnert ihn das an ein Zitat von Jack White aus der Doku „It Might Get Loud“: „Jack White meinte dort, dass er auf der Bühne immer noch struggeln muss, damit es ein gutes Konzert wird, und das bleibt auch für mich eine Wahrheit.“ Lachend fügt er hinzu: „Das heißt, es ist immer noch kein Zuckerschlecken und ich spiele immer noch Sachen, die ich schwer finde, aber ich breche nicht mehr auseinander!“
„Flowers On Display“ von Humans As Ornaments erscheint auf Oddventure.