Sagen wir mal so: Die musikalische Laufbahn von Marissa Nadler verläuft in Wellen. Ursprünglich gestartet als psychedelisch angetönte Folk- und Dreampop-Auteurin versuchte sich Melissa immer mal wieder auch an bandorientierten, kollaborativen Ansätzen und sogar an symphonisch ausgelebtem, opulentem Chamber-Pop. Immer mal wieder kehrte sie auch zu ihren ursprünglichen Roots zurück – und ihr zehntes Album „New Radiations“ gehört zweifelsohne zur letztgenannten Kategorie.
Das kann im Falle von Marissa Nadler aber natürlich nicht bedeuten, dass es hier um eine frugale Folk-Scheibe gehen könnte – denn für Lagerfeuer-Romantik war die zurzeit in Nashville lebende Songwriterin ja noch nie zu haben. Es ist nur erstaunlich, mit wie wenig Zutaten sie auf dem neuen Werk auskommt. Neben ihrem stets präsenten Fingerpicking-Stil sind es vor allen Dingen die mit viel Hall und Delay angelegten Vokal-Arrangements, die das Klangbild prägen. Orgel, Synth- und Mellotron oder psychedelische Gitarreneffekte setzen da nur Akzente und unterstützen die Cosmic-American-Gothic Stimmung effektiv. Klassische Band-Arrangements gibt es dieses Mal ebensowenig wie echte symphonische Einlagen, während gelegentliche unerwartete Einlagen wie z.B. die Steel-Gitarre in „You Called Her Emilia“ oder die epische Twang-Gitarre des Titeltracks dann doch schon zulässig sind. Die eigentliche musikalische Opulenz wird dann nicht über die Instrumentierung oder die Arrangements erreicht, sondern über Marissas schwelgerische, bittersüße Melodiebögen und eben den geschachtelten Gesang. Das Ganze wurde dann von Marissas musikalischem Partner Milky Burgess arrangiert und von Randall Dunn gemischt, während Marissa selbst dieses Mal die Produktion übernahm.
Wie üblich hat sich Marissa Nadler ein inhaltliches Rahmenkonzept ausgedacht. So geht es dieses Mal nicht um autobiographische Anekdoten, sondern um Charaktere, die (oft aus der Ich-Perspektive erzählend) kurz vor oder nach einem einschneidenden Erlebnis und/oder Erkenntnissen stehen, mit denen sie dann umzugehen haben. Dabei geht es um dystopische Zustände, Selbstfindung am Rande des Abgrundes, Perspektiven der Paranoia und das Festfrieren in Psychosen und Depressionen. Alles Themen, die der nachtschattig/sinistren musikalischen Atmosphäre Vortrieb leisten. Interessant bei diesem Ansatz ist dann der, dass sich das Album musikalisch ganz auf Marissa als Solokünstlerin zugeschnitten gebietet, es aber inhaltlich um die Möglichkeit alternativer Charaktere geht. Das ist dann klassisches Nadler-Futter, mit dem sich die Fans sicherlich sogleich arrangieren können – zumal dieses Album aufgrund des dezidiert reduzierten Settings dann doch ziemlich an die Anfänge Marissas als Gothic-Folk-Queen erinnert.
„New Radiations“ von Marissa Nadler erscheint auf Bella Union / Rough Trade.