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Beeinflusst von den Synth-Pop-Pionieren der frühen 80er Jahre, hob Ian Richard Devaney Nation Of Language vor rund einem Jahrzehnt gemeinsam mit Aidan Noell und Michael Sue-Poi (seit 2022 abgelöst durch Alex MacKay) aus der Taufe. Mit herrlich unterkühlten, von Post-Punk geküssten Elektronik-Pop-Songs fand das Trio auf seinem 2020 erschienenen LP-Erstling „Introduction, Presence“ zu einer ganz eigenen, herrlich raffinierten und oft spürbar melancholischen Interpretation alter Synth-Pop-Tugenden und traf damit nicht nur in den Zeiten der Ausweglosigkeit des Lockdowns einen Nerv, oder wie die Plattenfirma so schön schrieb: „Devaneys Berufung ist es, individuelle Verzweiflung gefühlvoll in eine tröstliche, kollektive Trauer zu übersetzen.“ Auf den Nachfolgern „A Way Forward“ (2021) und „Strange Discipline“ (2023) ließen die Amerikaner dann vermehrt ihrer experimentellen Ader freien Lauf, entdeckten ihr Faible für Krautrock und ließen auch vermehrt Live-Instrumente in den Arrangements zu. Auch auf dem fabelhaften neuen Album, „Dance Called Memory“ – dem ersten für Sub Pop – steht nun das Entdecken der Möglichkeiten hörbar im Mittelpunkt.
Auf den Weg gebracht hatte die Band einst der Zufall. Devaney hörte im Auto seines Vaters die wegweisende Synth-Pop-Nummer „Electricity“ von OMD, und das inspirierte ihn, nach dem Ende seiner von Punk, New Wave und Power-Pop beeinflussten Band The Static Jacks die Gitarre erst einmal beiseitezulegen und sich mit vergleichsweise krudem Equipment einem ganz anderen Sound zu widmen.
Nachdem das Trio auf den vorangegangenen Platten vor allem an Nuancen geschraubt hatte, ist die klangliche Neuausrichtung auf „Dance Called Memory“ praktisch vom ersten Ton an unüberhörbar, wenn gleich beim Opener „Can’t Face Another One“ plötzlich Mundharmonika und Gitarre und nicht etwa ein Jahrzehnte alter Synthesizer die Richtung vorgeben, das trügerisch betitelte „I’m Not Ready For The Change“ mit 90er-Jahre-Shegaze-Gitarrensounds kokettiert, „Nights Of Weight“ ganz am Ende ohne zu flunkern als Akustik-Ballade beschrieben werden kann und selbst die klanglich typischeren Nummern mit vielen kleinen neuen Finessen aufwarten. All das dürfte viele langjährige Fans der Band doch überraschen.
Im November steht die Band bei ihren bislang größten Konzerten in Deutschland in Köln, Hamburg, Berlin und München auf der Bühne, vorab allerdings widmeten sich Ian Richard Devaney und Aidan Noell, die nicht nur bei Nation Of Language Partner, sondern auch seit einigen Jahren verheiratet sind, den Fragen von Gaesteliste.de.
Gl.de: Zum Warmwerden: Welche Rolle spielt die Musik in eurem Leben?
Aiden: Als ich jünger war, empfand ich Musik zunächst als eine Möglichkeit, eine Beziehung zu meiner Familie aufzubauen. Meine Mutter sagte, sie habe ein Kind bekommen, damit sie jemanden habe, mit dem sie Musik hören könne. Später wurde es für mich sehr wichtig, Konzerte zu besuchen, weil ich dort eine Community fand. Als ich dann Nation Of Language beitrat – und ich hatte zuvor noch nie ein Instrument gespielt -, wurde Musik zu einer Möglichkeit, mich auszudrücken. Sie spielte also mehrere Rollen in meinem Leben, und alle waren und sind sehr wichtig.
GL.de: Die Geschichte, wie „Electricity“ von OMD den klanglichen Grundstein für Nation Of Language legte, ist bestens dokumentiert, aber was hat euch eigentlich an diesem Vintage-Sound so fasziniert?
Ian: Zum einen war es klanglich so anders als das, was ich schon seit Langem zu machen versucht hatte. Das eröffnete mir eine ganz neue Welt, konfrontierte mich aber auch mit einer Reihe von Herausforderungen, die kreativ interessant waren: Okay, ich weiß nicht, wie das funktionieren soll, aber wie könnte ich es mit den bescheidenen Mitteln, die mir zur Verfügung stehen, trotzdem angehen? Im Laufe der Jahre habe ich all diese Synthesizer gesammelt, und das ist toll, aber am Anfang hatte ich nur ein billiges Keyboard mit ein paar Presets, und dann bekam ich zu Weihnachten meinen ersten richtigen Synthesizer, und ich dachte: Okay, jetzt habe ich diese beiden Geräte und eine Bassgitarre – wie kann ich damit diese Art Musik machen? Ich hatte nicht wirklich Ahnung davon, wie man die Aufnahmetechnik am Computer richtig einsetzt, also ging ich das Ganze an wie ein Höhlenmensch, der versucht, all diese Dinge zu benutzen.
Aiden: Ich habe das Gefühl, dass dich diese Art von Musik aus einer Punk-Perspektive angesprochen hat. Du hast mir erzählt, dass du jedes Instrument auf der Bühne hören kannst, dass das alles eine gewisse Simplizität hat. Ich finde, das kommt in den früheren Aufnahmen von Nation Of Language gut rüber, diese Art von Ethos, dass man die Augen schließen und sich vorstellen kann, wie jedes Instrument auf der Bühne oder im Studio gespielt wird.
GL.de: Da diesmal der Schwerpunkt eher auf der Gitarre als Schreibwerkzeug lag, erkundet ihr auf diesem Album neues klangliches Terrain. Eine der größten Überraschungen ist sicherlich „I’m Not Ready For The Change“. War das ein Song, der erst während der Arrangement- und Produktionsphase seine endgültige Richtung gefunden hat?
Ian: Ja, auf jeden Fall! Ich glaube, es war tatsächlich der erste Song, an dem wir im Studio gearbeitet haben, und aufgrund unserer Arbeitsweise können wir immer nur einen Song auf einmal machen. Als wir diesen Song fertig hatten, haben wir alle irgendwie versucht, uns selbst davon zu überzeugen, dass er uns gefällt. Aber im Laufe der Arbeit an den restlichen Liedern des Albums wurde uns klar, dass wir zurückgehen und diesen Song noch einmal überarbeiten mussten. Wir mussten herausfinden, was daran nicht stimmte, denn irgendetwas passte nicht, irgendetwas fehlte. Eines der ersten Genres, das unseren Produzenten Nick Millhiser als jungen Menschen für Musik begeistert hat, war Hip-Hop in den 90ern. Deshalb war sein erstes Instrument eine Sampling-Maschine, mit der man Vinylplatten samplen und die Beats zerlegen kann. Er hat dieses Original immer noch, und es ist wirklich verrückt, jemanden zu beobachten, der so schnell mit einem Gerät arbeitet, dessen Bildschirm so winzig ist und dessen Kontrast so gering ist. Aber er hat einfach diese Drum Breaks aus alten Platten genommen und sie neu arrangiert, gemischt, und das ist etwas, woran wir als Band nie gedacht hätten. Er sagte einfach: „Okay, habt bitte mal einen Moment Geduld, während ich das zusammenstelle, aber ich glaube, das bringt uns in die Nähe von ‚Soon‘ von My Bloody Valentine“ – und genau das ist dann auch passiert, noch dazu auf eine Art und Weise, die mir wirklich die Augen geöffnet hat: Oh mein Gott, wir können so etwas wirklich machen? Die Leute haben immer gesagt, wir seien wie eine Band aus den 80ern, aber für mich hat dieser Song 90er-Jahre-Vibes, die spannend eingebracht wurden.
GL.de: Im Vorfeld habt ihr bereits gesagt, dass ihr als Gegenentwurf zum allgegenwärtigen KI-Wahn mit diesem Album eher der Brian-Eno-Tradition folgen wolltet, elektronische Musik so menschlich wie möglich klingen zu lassen. War das auch eine Reaktion auf die bisweilen düsteren Texte des Albums, um es so vor vollkommener Trostlosigkeit zu bewahren?
Ian: Das ist wirklich ein guter Ansatz, über den ich noch gar nicht nachgedacht hatte. Hätten wir versucht, persönliche und düstere Texte mit etwas völlig Roboterhaftem zu kombinieren, wäre die Botschaft vielleicht tatsächlich leichter verloren gegangen und hätte nicht dieselbe Wirkung gehabt.
GL.de: Welche Ideen und Gedanken in Brian Enos Schaffen haben euch denn besonders inspiriert?
Ian: Manchmal hört man, dass für ältere Aufnahmen, die von wirklich guten Musikern gemacht worden sind, 100 Takes nötig waren, bis alles perfekt war. Wir dagegen nehmen selten mehr als ein paar Takes von irgendetwas auf. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir mehr als zwei Takes der Gitarre bei „I’m Not Ready For The Change“ gemacht haben, wenn überhaupt. Beim ersten Take probiert man einfach ein bisschen herum, ohne zu wissen, ob man etwas davon behalten wird, weil es noch etwas unsauber ist, aber dann schaust du in die Runde und sagst dir: „Klingt cool!“ Wir könnten es noch einmal aufnehmen, um es perfekt zu machen, aber wäre das nicht langweilig?
Aiden: Ja! Als ich Brian Enos Tagebuch „A Year With Swollen Appendices“ las, habe ich viel von dem mitgenommen, was er dort über verschiedene Projekte geschrieben hatte, an denen er arbeitete: was ihn begeisterte und was er als altbacken und langweilig empfand. Ich habe das Gefühl, dass alles, was ihn begeisterte, etwas unvollkommen war oder zumindest viel Persönlichkeit hatte. Ich finde es wichtig, sich daran zu erinnern, dass man nicht perfekt sein muss.
GL.de: wenn wir in der Verangenheit mit den Synth-Poip-Helden gesprochen haben, die euch inspirert haben, wunderten die sich oft, warum Acts von heute zu diesen antiquierten Hilfsmitteln greifen, nach dem Motto: „Wir waren damals nicht auf der Suche nach einer Herausfordeung, es gab einfach nichts anderes, was wir hätten benutzen können. Wie gelingt es euch, mit Vintage-Equipment eine Band der Gegenwart zu sein?
Ian: Ich denke, allein dadurch, dass wir eben im Hier und Jetzt existieren. Die Verwendung ähnlicher Instrumente wie damals ist heute interessanter, weil wir die gesamte Musik, die in der Zwischenzeit erschienen ist, als Inspiration nutzen können – und das verändert vieles. Wenn man diese Instrumente verwendet, nachdem man My Bloody Valentine, The Strokes und andere Bands kennengelernt hat, die es damals noch nicht gab, dann nähert man sich den Dingen auf andere Weise. Ich erinnere mich, einmal gelesen zu haben, dass der Schriftsteller Malcolm Gladwell gesagt hat, dass die Musik, die man im Alter von 12 bis 18 Jahren hört, die Art und Weise prägt, wie man Musik von da an wahrnimmt. Für mich war das der Indie-Rock der 2000er und 2010er-Jahre, und ich glaube, dass es in meinem Kopf eine Standardeinstellung gibt, die auf meiner Liebe zu Bands wie The Strokes, Belle & Sebastian, Yo La Tengo oder The National zurückzuführen ist. Ich glaube, dass ich mich dem Schreiben von Musik immer mit einer Art unbewusster Vorstellung davon, wie der Song klingen könnte oder sollte, nähern werde. Auch wenn ich Instrumente der Vergangenheit verwende, ist das definitiv immer davon geprägt.
GL.de: Für die Texte dienen nicht zuletzt persönliche Schicksalsschläge und der alltägliche Wahnsinn unserer Zeit als Grundlage. Wonach sucht ihr beim Schreiben?
Ian: „Ich möchte etwas anbieten, mit dem sich die Menschen identifizieren können, auch wenn sie eigentlich davon überzeugt sind, dass niemand ihre Gefühle verstehen kann. Die Fähigkeit, jemandem das Gefühl zu geben, weniger allein zu sein, wenn er etwas Schwieriges durchmacht, ist meiner Meinung nach wirklich tiefgreifend und menschlich sehr wertvoll. Das ist mein Hauptanliegen, abgesehen davon, dass ich einfach eine Menge Ideen aus meinem Kopf und meinem Herzen herauskotze. Ich denke, jetzt, wo die Songs fertig ist, verwandeln sie sich in etwas, das ich anderen geben möchte, damit sie es für sich selbst haben können.
GL.de: Bedeutet das, dass sich eure Herangehensweise an das Songwriting verändert habt, seit eure Plattform in den letzten Jahren sprunghaft größer geworden ist?
Ian: Ich denke – nein!
Aiden: Ich habe das Gefühl, dass uns die Anerkennung, die unser Songwriting erfahren hat, bewusster ist, weil wir mit dem Wachsen unserer Reichweite mehr Menschen kennengelernt und mit Fans über Momente in ihrem Leben gesprochen haben, in denen unsere Musik ihnen sehr geholfen hat, sei es während der Pandemie, beim Verlust von geliebten Menschen, bei Trennungen, Autounfällen oder was auch immer. Erst neulich hat uns jemand erzählt, dass „The Wall & I“ der erste Song war, den ihr jetziger Ehemann ihr jemals geschickt hat, und es ist einfach toll, Teil der Liebesgeschichten von Menschen zu sein. Ich habe das Gefühl, dass dieses Wissen zwar nicht wirklich etwas daran ändert, wie man schreibt, aber es ist ein gutes Gefühl zu wissen, dass man nicht nur für sich selbst schreibt.
Ian: Wir haben nie daran gedacht, dass wir es einmal so weit bringen würden, aber wir haben es geschafft. Was ich davon mitnehme, ist: Ich weiß nicht genau, was bei den Leuten ankommt, aber solange ich weiterhin Dinge mache, die ich selbst interessant finde, denke ich, dass zumindest einige dieser Menschen am Ball bleiben werden.
Aiden: Es ist besser, keine Erwartungen zu haben!
Ian: Ja! Ich bin immer wieder überrascht, welche Songs aus unserem Repertoire bei den Leuten Anklang finden. Im Moment ist unser beliebtester Song wohl „Weak In Your Light“, und ursprünglich dachte ich, dass das ein Deep Cut werden würde. Wir haben eine Reihe von Singles aus diesem Album veröffentlicht, und dieser Song war nicht dabei, aber er bedeutete mir sehr viel. Seitdem sage ich mir: OK, dann schreibe ich eben weiterhin Songs, die mir viel bedeuten!
GL.de: Aidan sagte gerade „keine Erwartungen“, trotzdem würden wir zum Schluss gerne wissen, welche Träume und Wünsche ihr mit der neuen LP verbindet.
Ian: Vor der Pandemie waren wir im Grunde genommen das, was man als lokale Band bezeichnen könnte. Aiden buchte für uns DIY-Tourneen, und so fuhren wir mal eine Woche lang durch den Mittleren Westen oder so. Aber während der Pandemie gab es diesen großen Sprung in Sachen Bekanntheit für uns, und so waren die Shows, die danach kamen, viel größer als alles, was wir jemals zuvor gespielt hatten. Seitdem haben wir durch viele Tourneen und harte Arbeit – wir hatten ja nie einen viralen Hit oder so etwas – einfach langsam aber sicher mehr Menschen erreicht, was im Laufe der Zeit zu größeren Veranstaltungsorten und mehr Möglichkeiten geführt hat.
Aiden: Eines unserer Ziele ist es, weiterhin ausverkaufte Konzerte zu haben, denn die Energie in einem vollbesetzten Saal, in dem alle diese gewisse Aufregung spüren, dieser Moment und diese Erinnerung, die man mit allen Zuschauerinnen und Zuschauern teilt, ist etwas ganz Besonderes. Ich erinnere mich an unsere allererste ausverkaufte Show. Ich werde sie nie vergessen, weil es ein so besonderer Moment war, und jedes Mal, wenn man das in einer neuen Stadt schafft oder in einem größeren Veranstaltungsort als beim letzten Mal in dieser Stadt, ist das eine transzendentale Erfahrung.
Ian: Als ich jünger war und eine Band sah, fragte ich mich: Die spielen diesen Song doch bestimmt jeden Abend, haben sie das nicht irgendwann satt? Es ist sehr interessant, dass ich nach fünf Jahren des intensiven Tourens wirklich keinen unserer Songs satthabe. Letztes Jahr hatte ich beim Singen eines bestimmten Songs plötzlich eine ganz andere Verbindung zu dem Text, weil sich meine Lebensumstände seit dem Schreiben des Liedes verändert hatten. Ich hatte fast das gleiche Erlebnis wie ein Fan, der einen Song mit seinem eigenen Leben in Verbindung bringt, nur dass es eben mein eigenes Ich der Vergangenheit war. In dieser Hinsicht ist jede Show eine Gelegenheit, etwas über die Musik zu entdecken, auch wenn es deine eigene Musik ist und du sie selbst geschrieben hast!
„Dance Called Memory“ von Nation Of Language erscheint auf Sub Pop/Cargo.