Platte der Woche KW 43/2025
Dass Michelle Hindricks, Jorge Bela Jiminez und Tim Spencer – die heute als Trio-Projekt Ciel firmieren – aus Brighton stammen und Nachbarn von Laura-Mary Carter und Steven Ansell a.k.a. Blood Red Shoes sind, ließ sich bereits aus den EPs heraushören, die Ciel ab ca. 2017 veröffentlichten. Seit 2022 zeichnet dann sogar gar Steven Ansell als Produzent verantwortlich. Schließlich adoptierten die Blood Red Shoes Ciel dann sogar als Support-Act für ihre 2023er Club-Tour – wo das Trio dann den Shoes auch ordentlich in Sachen Grunge-Power Konkurrenz machte.
Nachdem die EPs und Singles dann auf Tonträgern zusammengefügt wurden, ist die Sache musikalisch auf dem nun vorliegenden, ersten „echten“ Album namens „Call Me Silent“ nicht mehr so eindeutig. Denn inzwischen haben sich Ciel in Brighton ein eigenes Studio eingerichtet, in dem sie sich dann erst mal daran machten, die technischen Aspekte des Recording-Business zu studieren – die sie dann auch auf ihre eigene Musik anwendeten. Grunge Riffs gibt es zwar immer noch – und auch die Song selbst gehen nach wie vor als brillant komponierte Rocknummern durch –, aber dennoch haben Ciel ihr musikalisches, atmosphärisches und stilistisches Angebot in Sachen Darkwave, Shoegaze und vor allen Dingen Dreampop (und zwar der klassischen Variante, die dereinst von Bands wie Lush etabliert wurde) erheblich ausgeweitet. Steven Ansell saß zwar nach wie vor hinter den Regeln – legte aber offensichtlich weniger Wert darauf, die Aufnahmen in Richtung Rock-Power zu optimieren, sondern darauf, die Zwischentöne und Nuancen durch eine analoge Produktion zu betonen.
Dabei hilft es sicherlich, dass Frontfrau, Texterin und Sängerin Michelle Hindricks sich als Bassistin betätigt – was dann automatisch dazu führte, dass ihre rollenden Bassläufe oft im Zentrum stehen, wodurch die Sache dann automatisch New Wave-Assoziationen weckt. Die Gitarren und Effekte werden dann kunstvoll zu einer Art postmodernem Wall Of Sound aufgetürmt, hinter dem sich indes niemand zu verstecken sucht. Wie gesagt sind die Tracks ja vor allen Dingen als Rocksongs konzipiert – und die diesbezügliche Energieausbeute bleibt auch erhalten; nur eben nicht in Sachen puristischer Rocksounds.
Inhaltlich beschäftigt sich Michelle Hindricks mit inneren Monologen über solche Themen wie Autismus (worauf sich der Titel des Albums bezieht), toxische Beziehungen, Abhängigkeiten oder emotionaler Taubheit. Das sind alles Sachen, die Freunden dieser Art von Power-Dreampop nicht unbekannt sein dürften und die ihnen ein wissendes Lächeln auf die Lippen zaubern werden. Auch Blood Red Shoes-Fans werden mit diesem upgedateten Ciel-Sound keine Probleme haben, zumal sie sich für die Harmonie- und Akkord-Folgen, die Hindricks & Co. verwenden, nicht grundsätzlich umgewöhnen müssen.
Bei all dem gelangen Ciel eine Menge potentieller Hits. Fast jeder der Tracks ließe eignete sich als potentielle Hitsingle verwenden. Für die Songs „Swallowing Your Pride“, „Will I Ever Feel Again“, „Talking On The Phone“ und den Titeltrack ist das bereits Realität geworden. In dieser Hinsicht sind die Vorschusslorbeeren, die die BBC als Early Adopter der Musik von Ciel und der anstehenden Veröffentlichung dieser brillanten LP
entgegenbrachte, mit Sicherheit gerechtfertigt.
„Call Me Silent“ von Ciel erscheint auf V2 Records/Bertus.



