Ob Lee Ranaldo schon ahnte, dass die Ehe von Kim Gordon und Thurston Moore in die Brüche gehen würde und damit die Zukunft ihrer gemeinsamen Band Sonic Youth zumindest ungewiss sein würde, als er im Frühjahr 2010 begann, die Songs für dieses Soloalbum zu schreiben? Nachdem die Alleingänge sämtlicher Sonic-Youth-Mitglieder bislang oft äußerst experimentell-avantgardistisch ausgefallen sind und durch die Bank deutlich den Stempel „Sideproject“ trugen, enthält „Between Times And The Tides“ ausschließlich Stücke, die klassischen Songwriting-Mustern folgen und zudem, angetrieben von Ranaldos unverwechselbarem Gitarrenstil, so produziert sind, dass man sie sich allesamt auch gut auf einem – noch dazu sehr guten! – Sonic Youth-Album vorstellen könnte.
Das ist allerdings nicht verwunderlich, wenn man einen Blick auf die Gästeliste wirft: Neben Ranaldos Frau Leah Singer waren an dieser Platte nämlich nicht nur Tausendsassa wie Alan Licht und John Medeski beteiligt, sondern außer Kim’n’Thurston praktisch alle Key-Player aus dem Sonic Youth-Umfeld: Steve Shelley sitzt am Schlagzeug, Nels Cline spielt fantastisch Gitarre, Jim O’Rourke gastiert am Bass und sogar Bob Bert, Schlagzeuger auf den frühen SY-Werken, wird als Percussionist genannt. Natürlich hat das Album nicht ganz die große Bandbreite einer Sonic Youth-Veröffentlichung – positiv ausgedrückt: es ist wesentlich fokussierter -, trotzdem unterstreicht Ranaldo mit diesem Werk eindrucksvoll, dass er mit echten Songs aus seiner Feder problemlos ein ganzes Album füllen kann, nachdem er die letzten 30 Jahre im Stile eines George Harrison mit wenigen, aber oft brillanten Momenten im Rampenlicht auskommen musste. Bravo!
„Between Times And The Tides“ von Lee Ranaldo erscheint auf Matador/Indigo/Beggars Group.
