Für die einen sind Bob Dylans „Rolling Thunder Revue“ und die parallel entstandene Studioplatte „Desire“ so etwas wie der heilige Gral. Doch auch wenn die Intensität des Dylan’schen Vortrags ebenso unbestritten ist wie die Qualität seiner unzähligen Mitstreiter – Joan Baez, Mick Ronson, Roger McGuinn, T-Bone Burnett, Bob Neuwirth, Allen Ginsberg etc. -, der Sound ist nicht unbedingt zeitlos. Im Gegensatz zum vorherigen Teil der Bootleg Series, „Live 1966“, stammen die Songs dieser Doppel-CD nicht von einem einzigen Konzert, sondern von vier Auftritten in kleineren Venues in New England im Herbst des Jahres 1975, die hier in beeindruckender Tonqualität das Feeling der zirkusmäßigen „Rolling Thunder“-Tour wesentlich besser einfangen als das um die Gäste reduzierte „Hard Rain“-Album, das bereits kurz nach Ende der Tournee erschien. Was begeistert, sind die Unerschrockenheit und die Intimität, mit denen Dylan seinem Publikum begegnet, ein nicht zu unterschätzender Faktor, der vielen Dylan-Shows vorher wie nachher ohne Zweifel fehlte. In dieser Atmosphäre wird sogar ein (zu) viel gespielter Song wie „Mr. Tambourine Man“ zu einem echten Highlight, das es mit den besten Stücken bzw. Versionen des Albums – „Love Minus Zero/No Limit“ und „Sara“ – locker aufnehmen kann. Und die Duette mit Joan Baez, allen voran „I Shall Be Released“, sind eh über jeden Zweifel erhaben. Dass ausgerechnet der Opener „When I Paint My Masterpiece“ mangels Soundboard-Aufnahme fehlt, stört Puristen, tut der Freude über diese weitere gelungene Ausgabe der „Bootleg Series“ allerdings keinen Abbruch.
„Live 1975: The Rolling Thunder Revue (Bootleg Series Vol. 5)“ von Bob Dylan erscheint auf Columbia/Sony Music.
