Nachdem das Londoner Ensemble Goat Girl sich inzwischen zum Trio mit Lottie Pendlebury, Rosy Jones und Holly Mullineaux gesundgeschrumpft hat, ist wohl ein wenig mehr Ruhe in das ansonsten stets irgendwie hektische Geschehen eingekehrt, das sich bei den ersten beiden Alben im Studio abgespielt hat. So viel Ruhe sogar, dass einige der Songs, die während einer zehntägigen Session in den irischen Hellfire-Studios eingespielt wurden, im Nachhinein mit Streichern, Bläsern und Chören augmentiert werden konnten. So etwas bedingt einen klaren Plan und eine ausgeklügelte Struktur – und die schienen Goat Girl dieses Mal gehabt zu haben, als es ins Studio ging. Wie Lottie uns bereits beim Interview zur ersten Goat Girl-Scheibe erklärte, geht es den Damen ja bekanntlich darum, es dem Zuhörer nicht zu einfach zu machen – und demzufolge niemals etwas zu produzieren, das leicht zu verdauen ist. Noise und Sounds spielen demzufolge immer noch eine große Rolle in der Welt von Goat Girl – werden aber nicht mehr dem Chaos oder Zufall überlassen, sondern als tragende Elemente strukturell in das Songmaterial eingebunden. Der Effekt ist dabei ähnlich wie jener, den Brian Wilson erzielte, als er so viele Instrumente miteinander kombinierte, dass am Ende nicht mehr auszumachen war, welche davon welche Klänge hervorbrachten – nur dass in Tracks wie „tcnc“, „Where’s Ur musste, weil ihm etwas auf der Seele brannte. Die Lieder auf „Pseudopoesie“ dagegen, so darf man sich zumindest einbilden, tauschen das Müssen gegen ein Wollen ein. Denn auch wenn in diesen zehn Liedern immer noch jede Menge memorable Zeilen stecken und sich genau die verblüffende, oft wunderbar abstrakte Wortakrobatik findet, die Frevert schon immer einzigartig machte – man höre nur „Kristallpalast“! -, wirkt seine Poesie dieses Mal selbst in der Ich-Perspektive distanzierter und damit stärker wie das Werk eines großen Pop-Songwriters denn das einer geschundenen Seele. Während Frevert auf „Putzlicht“ in Liedern wie „Immer noch die Musik“ Antworten auf seine grüblerischen Fragen fand und allein der herrliche Sound der Blechbläser für eine umarmende, tröstende Wirkung sorgte, widmet er sich nun – betont autobiografisch anmutenden Nummern wie „Fremd In dieser Welt“ und „Ende 17“ zum Trotz – lieber hochverdichteten, aber am Ende doch flüchtigen Momentaufnahmen, die in selten mehr als drei Minuten an den Hörerinnen und Hörern vorbeiziehen und dabei das Fazit gerne dem Publikum überlassen.
Eine Kritik an den Texten ist das allerdings nicht. Vielmehr ergibt dieser leise Schlenker auf „Pseudopoesie“ eine Menge Sinn, denn während sich Frevert vor vier Jahren noch köstlich darüber amüsieren konnte, dass wir ihm in unserer „Putzlicht“-Rezension einen ungenierten Flirt mit dem Mainstream angedichtet hatten, unterstreicht dieses Mal gleich der unwiderstehliche Drive der fabelhaften Eröffnungsnummer „Weite Landschaft“, dass Frevert keine Berührungsängste kennt, wenn es darum geht, den schon auf dem Vorgängeralbum beschrittenen Weg abseits von Indie-Flair und Liedermacher-Tugenden unbeirrt weiterzuverfolgen und seine Lieder trotz viel unterschwelliger Melancholie, die auch weiterhin (s)ein Markenzeichen bleibt, auf zeitgemäßes Pop-Terrain zu bugsieren. Eigespielt mit der Live-Band, die sein letztes Album so brillant auf der Bühne interpretiert hatte, und dem zuvor für Überflieger wie Faber, Provinz, Tristan Brusch oder Betterov tätigen Produzenten Tim Tautorat an seiner Seite, streckt Niels Frevert hier die Hand nach genau dem Publikum aus, das er schon seit vielen Jahren verdient hat, ohne dabei den Eindruck zu erwecken, sich dafür verbiegen zu müssen. Genau so muss konsequente Weiterentwicklung klingen!
„Below The Waste“ von Goat Girl erscheint auf Grönland/Rough Trade.