Share This Article
Für die New Yorker Songwriterin Sophie Auster stellte das Hereinbrechen der Pandemie und die sich anschließenden Phasen der Unsicherheit – mehr noch als für andere MusikerInnen – eine Phase des Umbruchs dar. Ende 2019 war sie – frisch verheiratet mit dem Fotografen Spencer Ostrander – noch mit ihrem damaligen Album „Next Time“ und der Single „History Happens At Night“ auch in unseren Breiten auf Tour gewesen – als ihre Pläne für das Jahr 2020 dann von der Pandemie ausgebremst wurden. Es war dann allerdings die Zeit danach, die Sophies Karriere als Songwriterin besonders beeinträchtigte. Im Jahr 2023 wurde bei ihrem Vater, dem New Yorker Autor Paul Auster Krebs diagnostiziert, Anfang 2024 wurde Sophies und Spencers Sohn Miles geboren und im April 2024 erlag dann Paul Auster seiner schweren Krankheit. Kein Wunder also, dass Sophies nun vorliegendes, neues Album „Milk For Ulcers“ nicht nur ihr bislang persönlichstes wurde, sondern auch wesentlich von ihrem Vater geprägt wurde, denn Sophie arbeitete während der ganzen Zeit bereits an neuen Songs und konnte sich darüber auch noch mit Paul Auster abstimmen.
Bislang war es ja so, dass sich Sophie Auster als Songwriterin von allerlei Themen inspirieren ließ – beispielsweise von Filmen, Büchern oder Geschichten, die sie beobachtet hatte. Bei dem neuen Album ist das aber anders, indem sie die Geschichten ihrer Songs jeweils aus der persönlichen Perspektive schildert und sich dabei auf ihr direktes Umfeld bezieht. Gleich mehrere der Songs richten sich an ihren Vater („Blue Team“), ihren Ehemann („Look What You’re Doing To Me“) oder gar sich selbst („Flying Machine“). Insofern dürfte „Milk For Ulcers“ Sophies ihr bislang persönlichstes, autobiographischstes und intimstes Album geworden sein, oder? „Ja auf jeden Fall“, bestätigt Sophie diese Vermutung, „es ist sowieso so, dass ich jedes mal etwas anderes machen will. Auf meinem letztes Album ‚Next Time‘, das ich in Schweden mit dem Produzenten Tore Johannsson aufgenommen habe, habe ich Geschichten erzählt. Einige davon waren fiktiv – ich hatte mir diese ausgedacht. Beispielsweise die Geschichte einer Frau, die einer Hells Angels-Gang zu entfliehen versucht. Da habe ich meiner Phantasie freien Lauf gelassen. Es gab natürlich Sachen, die persönlich waren – aber ich habe auch viel fabuliert und nicht gerade aus meinem Tagebuch zitiert. Auf dem neuen Album hatte ich das Gefühl, dass es eine Menge persönliche Sachen gab, die ich zum Ausdruck bringen musste. Ich hatte mich von meinem Label getrennt, musste mich nach der Pandemie orientieren, bin Mutter geworden und dann war da noch der Tod meines Vaters. Es gab diese persönlichen Tragödien in meinem Leben, die mich dazu zwangen, dieses Mal besonders ehrlich zu agieren. Es gab zu diesem Zeitpunkt nichts anderes, das ich hätte machen können, das sich richtig angefühlt hätte. Natürlich ist einiges codiert und wird nicht ausbuchstabiert – denn es geht ja auch ein bisschen um poetische Schleier – aber für mich fühlt sich alles total authentisch an.“
„Blue Team“ ist der letzte Song, den Sophie für das neue Album schrieb – als ihr Vater bereits im Sterben lag und darum bat, dass sie sich beeilen möge, damit er ihn noch hören könne. Was ist dabei das „blaue Team“, zu dem Sophie in dem Song gehört? „Mein Vater sagte zu mir, dass er diesen Song sehr liebe – machte mich aber darauf aufmerksam, dass niemand wissen könne, was der Titel bedeutet“, lacht Sophie, „ich habe ihm dann erklärt, dass es mir nichts ausmache, diesen Titel dann immer wieder erklären zu müssen. Also: Als mein Vater mit 9 oder 12 Jahren als Junge im Summer-Camp war, gab es da einen Camp-Leiter, der ein Spiel namens ‚Farbenkrieg‘ gespielt hatte. Es gab zwei Teams – das rote und das blaue – und die versuchten dann so viele Fähnchen wie möglich vom anderen Team zu ergattern. In diesem Sommer bildeten mein Vater und eine Gruppe von aufgeschlossenen Jungen, die sich gut verstand und der Camp-Leiter brachte die Jungs dann in einer Gruppe namens ‚Blue Team‘ zusammen. Er weckte sie dann nachts mit dem Code-Namen ‚Blue Team‘ auf, um eine Diskussionsrunde mit diesen zu veranstalten. Er studierte damals Philosophie und diskutierte mit den Jungs dann die großen Themen des Lebens, stellte ihnen Fragen und hörte sich ihre Meinungen an. Es war eine Art Geheimbund in diesem Camp.“
Wen das nun an Dead Poet’s Society erinnert, der liegt damit sicherlich gar nicht so falsch. Was hat diese Blue-Team-Society aber mit Sophie Auster zu tun? „In unserer Familie haben wir den Begriff ‚Blue Team‘ als eine Art Geheimcode für Menschen, die wir kannten verwendet. Nach dem Motto „Oh – sie gehört definitiv zum Blue Team‘ oder ‚Ich denke nicht, dass er Blue Team ist‘. Mein Vater hat sich immer für meine Boyfriends interessiert und dann gefragt: ‚Ist er jetzt Blue Team?‘ – und ich habe dann gesagt, ‚Gott nein – wirklich nicht‘. Die Menschen, die besonders moralisch und aufgeschlossen sind und die Ihr Leben aufrecht und pur leben sind für uns ‚Blue Team‘. Der Song ist dann mein Versprechen an meinen Vater, dass ich mein Leben weiterhin nach diesen ethischen Maßstäben leben werde. Er hat auch die ganze LP noch von Anfang bis Ende hören können und wir haben meine Songs gespielt, als er dann von uns gegangen ist. Das hat mich ganz schön mitgenommen.“
Neben diesen doch sehr persönlichen Konnotationen scheint es noch ein weiteres – poetischeres – Thema auf der Scheibe zu geben, denn in den Songs tauchen öfters Traumbilder auf. Waren Träume demzufolge auch eine Inspirationsquelle? „Ich denke, du meinst dann Songs wie ‚Don’t Ask Me What I Do‘?“, fragt Sophie, „den habe ich in meiner Trauerphase geschrieben, als ich mich anfühlte, als würde ich durch mein Leben schlafwandeln und mich ständig fragte, was gerade um mich herum passierte. Das ist dann ein Song über die Zeit, in der ich spürte, dass ich vielleicht gerade nicht die umgänglichste Person war. Das ist dann eine Art von Entschuldigung an meinen Mann Spencer.“ Es ist dann auch ein Song, der durch den Track „Look What You’re Doing To Me“ – ein ziemlich geradliniges Liebeslied – wohl mehr als ausgeglichen wird.
Gerade weil in den letzten Jahren so viel passiert ist, drängt sich die Frage auf, was die Musik als solche für Sophie Auster heute bedeutet. „Für mich bedeutet Musik Freude und Widerstand“, führt sie aus, „in unseren Zeiten, in denen man wirklich nicht mehr weiß, was man machen soll, kann man mit seinen Freunden, der Familie, den Liebsten und Gleichgesinnten dieses bedrohliche Gefühl, das da in der Luft hängt, bekämpfen – indem man zusammenhält. Und ich denke, dass Musik oder Kunst im Allgemeinen etwas ist, mittels dessen man gemeinsamen durch diese Zeiten kommen kann. Wenn ich gefragt werde, was man denn machen solle, dann sage ich, dass ich das auch nicht wisse. Ich bin halt jemand, der dazu auserkoren wurde, seine Laufbahn als Musikerin zu bestreiten – aber ich habe keine großen Antworten. Ich weiß nur, dass ich mich dadurch beschützt fühle, dass ich weiter mache, mich mit anderen austauschen, die auch Musik machen, oder mich mit Menschen umgebe, die andere Arten von Kunst machen. Ich denke, dass die Musik das ist, was mich im Moment am meisten tröstet. Ich weiß ja auch, dass es viele gute, freundliche, intelligente, kreative Menschen gibt – und sich das zu vergegenwärtigen ist ja an sich auch tröstlich.“
Im Anschluss an die Veröffentlichung der LP „Milk For Ulcers“ wird Sophie Auster erneut auf Europa-Tour gehen und dabei im Mai auch für einige Termine nach Deutschland kommen.
„Music For Ulcers“ von Sophie Auster erscheint auf CEN/Membran.