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Power? Pop!
Mit ihrem Sound an der Schnittstelle von klassischem Indierock und noch klassischerem Power-Pop sorgen Girl Scout nun schon seit einigen Jahren allenthalben für Begeisterung. Mit seiner inzwischen dritten EP im Gepäck ist es deshalb ein Leichtes für das Quartett aus Schweden, viele Konzerte der aktuellen Europa-Tournee restlos auszuverkaufen. Nur in Köln gelten mal wieder eigene Gesetze: Im nun wirklich nicht riesig großen Yuca Club hätten alle Anwesenden noch zwei, vielleicht sogar drei Freundinnen und Freunde mitbringen können, bevor es wirklich kuschelig geworden wäre. Die Band betrübt das zum Glück nicht. Im Gegenteil: Girl Scout rocken an diesem Montag den mäßig gefüllten Club unter Ehrenfelds Eisenbahnbögen, als sei es Samstagnacht und der Laden rappelvoll. Am Ende geht das Konzert dann sogar mit einer echten Überraschung zu Ende.
Schon der Support ist handverlesen. Bei unserer letzten Begegnung mit Girl Scout im vergangenen Sommer als Support von Alvvays im Hamburger Grünspan stand Brockhoff noch vor der Bühne im Publikum, dieses Mal darf sie selbst das Vorprogramm bestreiten – und nutzt die Gelegenheit zum Experimentieren. Ohne ihre Band, dafür aber mit ihrem etatmäßigen Bassisten Max Nielsen an der Stromgitarre, testet sie an diesem Abend größtenteils neue und brandneue Songs erstmals in Duobesetzung auf ihre Publikumstauglichkeit und spielt sich schon mal ein bisschen warm für die Veröffentlichung ihres Albums „Easy Peeler“, das in diesem Jahr – als langjährige Brocki-Fans möchten wir sagen: endlich! – erscheinen wird.
Schon auf ihrer letztjährigen EP „I’ve Stopped Getting Chills For A While Now“ hatte sie bewiesen, dass sie mehr im Sinn hat, als mit wuchtigen Hymnen, die dem klassischen Indierock der 90er- und 2000er-Jahre Tribut zollen, den Pop-Olymp zu erklimmen, und auch wenn es ein Stück weit vielleicht der reduzierten Besetzung geschuldet ist: Die etwas düstere Stimmung der „Chills“-Songs macht sich auch in den Liedern breit, die Brockhoff in Köln auf der Setlist stehen hat. Gleich die ersten beiden heißen „Movies About Death“ und „Dirty Dream“ und glänzen dabei mit genau der Melange aus unbedingter Hingabe, inhaltlichem Realismus und unaufdringlicher Eingängigkeit, den Phoebe Bridgers schon zu Beginn ihrer Karriere perfektioniert hat und die hierzulande niemand so brillant für sich adaptiert wie Brockhoff.
Wie rasant sich die in Hamburg heimische Musikerin entwickelt, unterstreicht auch der Rest des Sets, denn die beiden schwächsten Songs – oder besser gesagt: am wenigsten mitreißenden Songs – sind ausgerechnet die einzigen alten. „Sharks“ – einer der größten Banger ihrer ersten EP gleichen Namens – will in der Duobesetzung nicht so recht zünden, und „Bigger Picture“, das letztes Jahr veröffentlichte Duett mit Blush Always, leidet ein wenig darunter, dass Brockhoff etwas zu bemüht ist, ihre eigene Version zu finden. Das heimliche Highlight ist dagegen so neu, dass der Song es noch nicht einmal auf das kommende Album geschafft hat. „Blind Spot“ heißt die Nummer, bei der man das Gefühl hat, dass Brockhoff all die gut gemeinten Vergleiche, die ihr in der Vergangenheit angedichtet worden sind, abschüttelt und mehr denn je eine eigene Songwriting-Identität entwickelt. Das muss man auch erst mal schaffen: Angetreten, um die Vorfreude auf ihr erstes Album zu schüren, sorgt diese Nummer dafür, dass wir nun selbst das zweite Album kaum erwarten können…
Mit dem eher in sich gekehrten Set von Brockhoff hat der Auftritt von Girl Scout rein gar nichts zu tun: Gleich zu Beginn stürzen sich die vier in „Do You Remember Sally Moore?“ und machen so kurzerhand ihre letztjährige Schlussnummer zum Eröffnungssong! Auch sonst bleibt nicht viel Zeit, um Luft zu holen. In gerade einmal 45 Minuten stürmen Sängerin/Gitarristin Emma Jansson, Drummer Per Lindberg, Gitarrist Viktor Spasov und Neu-Bassist Kevin Hamring durch die elf Songs ihrer Setlist und haben dabei nicht nur wegen der zwei jungen Superfans in der ersten Reihe, die jeden Song begeistert mitsingen, einen Riesenspaß. Für lange Ansagen bleibt da keine Zeit, nur einmal wird es etwas ausführlicher, als sich Emma vor „Mothers & Fathers“ als Fan von Scheidungen outet: „Man sollte sich immer scheiden lassen, wenn man die Person, mit der man zusammen ist, nicht mehr mag!“, sagt sie lachend, und widmet den Song all denen im Saal, die Kinder geschiedener Eltern oder selbst geschieden sind.
Die Songs von Girl Scout sind quirky, mitreißend und herrlich dynamisch, denn die vier wissen, in welchen Momenten sie sich zurücknehmen müssen, damit die nächste wuchtige Welle das Publikum umso härter trifft – gerade bei „Honey“ funktioniert das ganz ausgezeichnet. Musikalisch gibt es in diesen oft augenzwinkernden Liedern über Frustration und Resilienz Verweise auf den amerikanischen Indierock der 90er, unüberhörbar ist aber auch der Einfluss der Indie-Darlings aus Neuseeland und Australien – The Beths scheinen gleich bei mehreren Liedern durch, und das bereits erwähnte, herrlich wilde „Mothers & Fathers“ ist der beste Song, den Courtney Barnett nie geschrieben hat. Immer wieder gibt es aber auch Schlenker zu den Power-Pop-Helden der 70er: Dass Emma ein Blondie-T-Shirt trägt und Lindbergs Drum-Stil immer mal wieder an den großartigen (und leider unlängst verstorbenen) Clem Burke erinnert, kann doch kein Zufall sein!
Auf der Bühne klingt das Ganze dann bemerkenswert grungy und noch einmal deutlich ungezähmter als auf der letztjährigen, von Alex Farrar (MJ Lenderman, Squirrel Flower, Girlpuppy) produzierten EP „Headache“, und es ist kein Wunder, dass das Publikum nach der punkigen Attacke „I Just Needed You To Know“ noch nicht genug hat.
Einen letzten Song verspricht Emma dem Publikum bei der Zugabe, aber ein einziger Zwischenruf aus Reihe 1 („Two more!“) reicht aus, um die Sängerin umzustimmen: „Wenn ihr wirklich noch zwei Lieder hören wollt, können wir das möglich machen!“, sagt sie zur Überraschung aller – ihre Bandkollegen eingeschlossen! Deshalb ist dann das sich langsam aufbäumende „All The Time And Everywhere“ zwar der letzte Song auf der Setlist, aber nicht die finale Nummer des Abends. „Das letzte Stück haben wir nicht geprobt und seit sechs Monaten nicht gespielt“, erklärt Emma dem Publikum, und auch wenn das ein bisschen geflunkert ist, unterstreicht es doch, dass wir hier einen besonderen Moment erleben. „Das wird jetzt entweder der beste Teil des Konzerts oder die reinste Shit-Show“, sagt sie, und was sollen wir sagen? Es war natürlich Ersteres! „Call It Off“ ist eine uralte unveröffentlichte Nummer, in der all die jugendliche Unbeschwertheit und musikalische Unbedarftheit steckt, die jede Band innerhalb kürzester Zeit einbüßt, und sorgt in Köln für ein furioses Finale – Singalong inklusive! Danke, Girl Scout, das war der Hammer!