Bereits auf dem Reeperbahn Festival 2023 begeisterten die in L.A. ansässige Musikerin Claire Chicha und ihre Band spill tab in der damals neuen Spielstätte Chikago bei ihrer Live-Show mit einem hinreißenden Mix aus R’n’B-Pop, Jazz, Indie-Rock, Psychedelia und sogar Singer/Songwriter-Ambitionen – kurz gesagt, mit allem, was sich für die Musikerin mit thailändisch/französisch/algerisch/koreanischen Wurzeln „seltsam und richtig“ anfühlt (wie sie in der Bio zu ihrem Debüt-Album Angie verrät). Seltsam und richtig ist nun auch das Album „Angie“ ausgefallen – wenngleich weniger extrem als die Show damals im Chikago.
Neu im Geschäft ist Claire Chicha dabei gar nicht. Ihre Laufbahn begann sie als A&R-Praktikantin und Merch-Person für ihren Freund Gus Dapperton, bevor sie – kurz vor der Pandemie – 2019 ihre Debüt-Single „Decompose“ veröffentlichte. Die sich anschließende Pandemie-Phase nutzte sie, um sich über die Veröffentlichung einer Reihe von drei EPs und Single-Titeln (überraschenderweise auf dem renommierten Arista Label) ein beachtliches Repertoire an Songs, Sounds und Stilen anzueignen, während sie sich zugleich als Gastmusikerin bei Projekten befreundeter Musiker engagierte.
Offensichtlich blieb dabei erkennbar so viel hängen, dass das den eklektischen Mix des Albums „Angie“ zweifelsohne erklärt und rechtfertigt. Jedoch konnte Claire dieses Album erst realisieren, als es ihr gelang, sich aus dem Major-Deal zu befreien, denn dort versuchte das Label, zunehmend Einfluss auf die musikalische Ausrichtung zu nehmen und den „schnellen Hit“ zu fordern. Aus diesem Grund war sich Claire noch 2023 sicher, so schnell keine LP zustande bringen zu können, weil von ihr ein stetiger Flow von neuen, einzelnen Tracks mit Hit-Potential auf digitaler Basis erwartet würde. Zum Glück kam es anders: Nachdem sich Claire von dem Label losgesagt hatte, machte sie sich daran, mit einer Reihe befreundeter Produzenten – ohne Druck und mit einer verspielten Leichtigkeit – das zusammenzutragen, was unter dem Strich nun das Album „Angie“ ausmacht – und kann das Ganze nun sogar physisch veröffentlichen.
Auf dem Album kommen die entsprechenden musikalischen Bestandteile dann – eingerahmt von Field-Recordings, die den Produktionsprozess widerspiegeln – schwerpunktmäßig in einzelnen Tracks zum Tragen. Der Opener „Pink Lemonade“ ist beispielsweise R’n’B-Pop at its best, während sich „Adore Me“ in jazziger Eleganz ergeht. Der Track „By Design“ beginnt als abrasiver Psych-Rock, wechselt in der zweiten Hälfte in einen leichtfüßigen Folkpop-Modus. Das nachfolgende „Hold Me“ überrascht hingegen mit Trip-Hop-Elementen und Soulgesang. Der Titeltrack kommt dann als abrasiver Indie-Pop-Trip mit psychedelischem Flair daher. Ach ja: „Assis“ und „De Guerre“ singt Claire auf Französisch – weil sie es eben aufgrund ihrer Herkunft (der sie auch ihre musikalische Prägung verdankt) kann.
Wenn es hier nun heißt, dass das Album „Angie“ weniger extrem angelegt sei als der Hamburger Showcase, so ist das in dem Sinne zu verstehen, dass damals zuweilen alle genannten stilistischen Elemente mit enormer Lautstärke und unter Ausnutzung sämtlicher dynamischer Möglichkeiten nahezu gleichzeitig implementiert wurden. Auf dem Album ist das alles überlegter, klarer, geordneter angerichtet – wenngleich nicht weniger effektiv als bei dem Konzert; nur auf eine andere Art. Und ganz nebenbei enthält auch dieses Album einen ganzen Flow an neuen Tracks mit Hit-Potential – ganz so, wie das alte Label sich das gewünscht hätte.
„Angie“ von spill tab erscheint auf Because Music/Virgin/Universal.