Share This Article
Familien-Drama
Dass die Throwing Muses für Kristin Hersh mehr als einfach ihre Band sind, hatte die Künstlerin im Laufe ihrer Karriere bei jeder sich bietenden Gelegenheit immer wieder deutlich gemacht, seit sie das Projekt 1981 zusammen mit ihrer Halbschwester Tanya Donelly aus der Wiege hob. Für Kristin Hersh war demnach immer klar, dass es stets einen Platz für die Muses in ihrem Herzen geben würde – auch als ihre Solo-Karriere an Fahrt aufnahm und sie an den Rand eines Mainstream-Durchbruchs brachte (der freilich niemals erfolgte). So war schon klar, dass die Auflösung der Band aus finanziellen Gründen nach dem Limbo-Album wohl 1997 nur eine temporäre Angelegenheit sein würde. Dass die Laubahn der Muses dann nach der 2002er Reformation dennoch nicht nahtlos weitergehen konnte, lag vor allen Dingen an dem nomadischen Lebensstil von Kristin Hersh und persönlichen Querelen. Immerhin erschienen nach der Re-Union vier weitere Throwing Muses-Alben mit jeweils mehrjährigen Pausen dazwischen. Live spielten die Muses selbst in den USA nur noch vereinzelt.
Nachdem die Throwing Muses zuletzt 2011 eine Show in Deutschland gespielt hatten, stellte die Show der im Kölner Gebäude 9 im Rahmen der von Gaesteliste.de präsentierten Tour also eine der seltenen Gelegenheiten dar, die Band in unseren Breiten noch mal erleben zu können. Inzwischen ist das Projekt mehr denn je zu einer Familienangelegenheit geworden. So spielte auf der aktuellen Tour etwa Kristin Hershs Sohn Dylan O’Connell Bass (den sie als Toddler noch auf ihre Interview-Touren mitgenommen hatte), während der zwischen 1990 und 1991 als Muses-Bassist agierende Fred Abong auf der aktuellen Tour hinter dem Drumkit Platz genommen hatte. Zusätzlich war noch der Cellist Steve Harvey mit dabei, mit dem Kristin auch bei ihren Solo-Scheiben schon zusammengearbeitet hatte und der auf dem Album „Moonlight Concessions“ den Sound der Band – wenngleich in einem akustischen Setting – besonders stark geprägt hatte.
Es war dann auch Fred Abong, der mit einem Solo-Set (das er ausschließlich auf Kristins akustischer Gitarre absolvierte) als Support-Act agierte. Abong ist eigentlich als College-Professor unterwegs – aber seit ungefähr 2018 auch als Songwriter in eigener Sache tätig. Passenderweise hatte er auch sein aktuelles Album „Mess Kit“ im Angebot, auf dem er sich auch als Noir- und Kaputnik-Rocker präsentierte. Im Solo-Set blieben von der Rockmusik allerdings dann nur die Songstrukturen übrig – die dann allerdings auch dafür sorgten, dass so etwas wie Folk-Feeling gar nicht erst aufkommen mochte. Abong favorisiert einen dystopischen Ansatz als Songwriter und beschäftigt sich demzufolge auch mit weniger lebensbejahenden Themen. Als prägendes Beispiel für seine Kunst mag da der ältere Titeltrack seiner ersten EP „Homeless“ gelten, mit dem Abong das Gefühl der Obdachlosigkeit beschreibt und musikalisch greifbar zu machen sucht. Abongs heiserer Gesang erinnerte dabei ein wenig an seinen australischen Kollegen Hugo Race, der – wie Abong auch – die Nachtschatten-Aspekte des Lebens als Thema bevorzugt.
Als schließlich nach einer kurzen Pause dann die ganze Band die Bühne betrat und ohne Umschweife zur Sache kam, wurde schnell deutlich, dass die Muses als Konzept in all den Jahren seit der Gründung nichts von ihrer Faszination verloren haben, denn obwohl die langjährigen Mitglieder Dave Narcizo und Bernard Georges auf dieser Tour nicht dabei waren, fühlten sich sowohl die Zuschauer wie auch die Band in die großen Zeiten des Indie-Rock der 90er Jahre zurückversetzt.
Das mag auch damit zusammenhängen, dass Kristin Hersh und die Muses erst gar nicht versuchten, das akustische Unplugged-Prinzip des „Moonlight Concessions“-Albums auf die komplette Live-Show zu implementieren. Gleich der erste Track „Theremini“ vom aktuellen Album wurde elektrisch dargeboten und im Folgenden ging es sowieso erst mal mit einem bunten Querschnitt durch die gesamte Muses-Historie weiter: „Sunray“ und „Dark Blue“ vom letzten Album „Sun Racket“ etwa – oder aber auch ganz alte Schätzchen wie „Bea“ vom 89er „Hunkpapa“-Album und sogar „Soap & Water“ von der Fat Skier EP, „Limbo“ und „Sharks“ vom Limbo-Album sowie „Counting Backwards“ von „The Real Ramona“.
Von diesem Album stammt ja auch der Track „Him Dancing“, der im Mittelteil der Show gespielt wurde und bei dem Kristin dann auch zur akustischen Gitarre griff, mit der dann auch weitere „Moonlight Concessions“-Tracks wie „Drugstore Drastic“ oder „Summer Of Love“ – aber auch „Lazy Eye“ (einer der wenigen Rückgriffe auf die Muses Neuzeit) angestimmt wurden. Dennoch bot die Show im Gebäude 9 genügend Rock-Drive, um die lange Abwesenheit der Muses auf deutschen Bühnen zu kompensieren. Bester Beleg für diese Theorie war dann der Umstand, dass die einzigen Feedback-Sounds ausgerechnet von der bis zur Stehkante aufgedrehten Akustik-Gitarre Kristins ausgelöst wurden.
Dabei kamen die Muses durchaus mit den Basics zurecht. Fast ohne Ansagen leitete Kristin die Muses durch das Programm und gefiel sich dabei immer wieder in längeren Jam-Passagen mit ihren Musikern zu interagieren – die offensichtlich trotz der stoischen Mienen einen tierischen Spaß daran hatten; was sich dann auch auf das Publikum übertrug. Es schien sich auch eine Menge angestaut zu haben in der langen Phase der Abwesenheit. Wie sonst wohl wäre die endlose Setlist mit 26 Tracks zu erklären (die allesamt keineswegs versöhnlich gekürzt, sondern in ordentlichen Live-Versionen gespielt wurden)?
Ein wenig rätselhaft war allerdings die Rolle des Cellisten Steve Harvey, der alle Tracks mit seinem Spiel ergänzte. Denn früher hatte Kristin Hersh immer eingewendet, dass man vorsichtig mit dem Cello sein müsse, weil das ihrer Meinung nach einfach zu viel Drama erzeuge und sie es deswegen nur punktuell verwenden wolle. Vielleicht geht es ihr aber heutzutage ja gerade darum, Drama zu erzeugen. Sei es drum: Das Konzept funktionierte ausgezeichnet – und ehrlich gesagt kann ein wenig Drama der Rockmusik per se ja auch nicht wirklich schaden.
Letztlich erwies sich insbesondere der Umstand, sich nicht auf die akustische Klangwelt des letzten Albums „Moonlight Concessions“, sondern stattdessen auf die Rock-Roots des vorletzten Werkes „Sun Bracket“ zu konzentrieren, als ausschlaggebend für den Erfolg des ganzen Unternehmens. Am Ende waren sich alle einig: Das hatte tierisch Spaß gemacht und war dann alles fast so wie früher. Die Zeit ist also offensichtlich an den Muses vorbeigegangen, weitestgehend ohne große musikalische und performerische Spuren hinterlassen zu haben.