Da brauchen wir nicht lange rumzudiskutieren: Das konsequenterweise selbst betitelte siebte Album von Kae Tempest ist nicht mehr oder weniger als ein musikalisches Selbstporträt geworden. Interessanterweise kam der Anstoß für dieses Projekt zustande, als sich Tempest mit dem (Grammy-prämierten) Produzenten Fraser T. Smith a.k.a. Stormzy über mögliche neue musikalische Ideen austauschte – denn letzterer empfahl Tempest, die neuen Lyrics konsequent aus der Ich-Perpektive anzulegen und dabei dann auch die eigene Geschichte zu erzählen. Waren die bisherigen Alben – darunter auch das letzte „The Line Is A Curve“ – eher politisch aufgeladen, so wird Tempest dieses Mal persönlich – und thematisiert dann auch erstmals musikalisch das bereits 2020 erfolgte Outing als Nonbinäre Person, den damit erfolgenden Prozess der Geschlechtsangleichung und die damit verbundenen Effekte
Angesichts der Thematik kommt das neue Werk bemerkenswert leichtfüßig und humorvoll daher – wahrscheinlich deswegen, weil Tempest als Persönlichkeit nun seine Identität gefunden und sich mit den Umständen arrangiert hat. In dem Song „Prayers To Whispers“ – einer Elegie über den Sinn des Lebens – heißt es etwa „My anger is useless and impossible to ignore“ und weist den Weg zum neuen Stoizismus. Natürlich thematisiert (und glorifiziert) Tempest auch die Rolle als Außenseiters („I am a freak on the way to the circus“ – heißt es etwa in „Diagnosis“) – tut das aber mit einem Augenzwinkern und nicht mehr mit der manischen Verbissenheit, die früher die Atmosphäre prägte. In dem auch als Single ausgekoppelten Empowerment-Track „Statue In The Square“ thematisiert etwa Tempest die Widerstände, mit denen sich Menschen, die nicht den allgemeinen sozialen und gesellschaftlichen Strukturen entsprechen, konfrontiert sehen und zelebriert den Akt sich in der Öffentlichkeit authentisch auszuleben und sich so Anerkennung und Respekt zu verdienen (und zur Not zu verschaffen) – bis den Betroffenen am Ende Denkmäler errichtet werden.
Interessant ist dabei die musikalische Umsetzung. Denn einerseits gibt es auf dieser Scheibe etliche Verweise auf die Rap-Roots Tempests – aber andererseits werden diese eingebettet in ein bunt gemischtes Neo-Pop-Umfeld mit teils erkennbaren Song-Strukturen, opulenten, orchestralen Soundtrack-Backdrops, Melodien, Gesang und teils geradezu revolutionären Experimenten, an denen auch zahlreiche Gäste wie Neil Tennant, Connie Constance oder der Philosoph Carl Jung (über ein eingespieltes Zitat in dem Song „Hyperdestillation“) beteiligt waren.
Der Selbstfindungs-Track „Know Yourself“ basiert im Wesentlichen auf einer Synth-Bass-Linie, die wohl auch einem Johann Sebastian Bach gefallen hätte. „Sunshine On Catford“ ist ein Dreampop-Song mit gesungenen Refrains. Auch in dem Track „Prayers To Whispers“ (bei dem Moby als mögliche Inspirationsquelle grüßen lässt) gibt es Gesang – von Kae Tempest selbst und einer Art Gospelchor und jazzigen Bläsern. „Bless The Bold Future“ (eine Kontemplation über das Thema „Reproduktion“) überrascht mit Tribal-Beats und nonverbalem Gesang. Der musikalisch vielleicht herausragendste Song ist indes der Closer „Til Morning“ – eine mit Melodie-Bass, liturgisch anmutenden Bläser-Sätzen, Klavierbegleitung und organischer Perkussion angereicherte melancholische Suche nach dem (inneren?) Kind. Fazit: „Kae Tempest“ ist das zugleich ambitionierteste und persönlichste sowie musikalisch attraktivste Album der Person Kae Tempest geworden.
„Kae Tempest“ von Kae Tempest erscheint auf Universal .