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Zwischen Orangen und Papageien
Annie Bloch gehört zweifelsohne zu den umtriebigsten und produktivsten Musikerinnen unserer Tage. So arbeitet die Wahlkölnerin parallel an verschiedenen Projekten und ist auch ständig auf den Bühnen der Domstadt präsent. Da brauchte es schon eine sorgsame Planung und Vorbereitung, das ambitionierteste dieser Projekte – das mit einem zehnköpfigen Ensemble produzierte Album „I Depend“, das im März dieses Jahres erschienen ist – in einem gebührenden Rahmen dann auch ein Mal in Köln live zu präsentieren. Als Ort für die offizielle Release-Show des Albums mit dem zehnköpfigen Orchester im Gepäck war die Kölner Orangerie im Volksgarten erkoren worden – eigentlich keine klassische Konzertstätte, die sich indes aufgrund der offenen Architektur der Gebäulichkeiten dann doch für ein solches Unterfangen angeboten hatte. Denn die Show war als Open-Air-Ereignis konzipiert worden – wobei die Möglichkeit bestanden hätte, das Ganze im Schlechtwetterfall ins Innere zu verlegen (was dann zum Glück aber nicht notwendig wurde). Die Zuschauer erwarteten so ein ungewohntes Setting. Sie saßen nämlich auf Gartenstühlen auf dem Rasen, während die Musiker im geöffneten Innenraum der Orangerie unter einer ausgefahrenen Markise Platz nahmen.
Als Support hatte sich Annie Bloch ihren Label-Kollegen, den schwedischstämmigen Songwriter Andrew Collberg, eingeladen – der wie sie in Köln lebt. Die Sache ist dabei die, dass Andrew Collberg seine musikalischen Lehr- und Wanderjahre in Tucson, Arizona, verbrachte, wo er sich im Dunstkreis der sogenannten Wüstenrock-Szene um Howe Gelb, Giant Sand, Calexico und Nick Luca (der seine ersten Alben produzierte) stets sehr wohl gefühlt hatte. Obwohl Collberg diese Zeit schon lange hinter sich gelassen hat und bei der Show in der Orangerie mit seinem Trio vor allen Dingen neuere Songs aus seiner Köln-Phase spielte (wie etwa den Track „Grey Grey Germany“ – der zum Glück ja nicht als Omen für den Abend zum Tragen kam), hatte Collberg den Einfluss, den Howe Gelb auf seine musikalische Prägung offensichtlich gehabt haben muss, wohl nie abschütteln können – und legte sich ebenso sprunghaft und erratisch ins Zeug wie der ungekrönte König der musikalischen Überraschung.
So zersägte Collberg seine Gitarrensoli mit der derselben kindlichen Freude, wie Gelb das auch gerne tut, wenn ihm der Schalk zu sehr im Nacken sitzt und erklomm mit seinen beiden Mitstreitern dann gesanglich so manchen Gipfel der Atonalität. All das tat er mit einem erkennbaren Augenzwinkern und ohne dass die zugrunde liegenden, teils schnürsenkeligen, torkelnden Psycho-Pop-Songs wirklich schlecht waren. Freilich war das dann so ziemlich das absolute Gegenteil der musikalischen Disziplin, die Annie und ihre Musiker im Folgenden demonstrierten. Das anwesende Publikum jedenfalls schien zumindest mal irritiert über die zur Schau getragene Drunken Waltz- und Katzenjammer-Blues-Attitüde des Mannes. Für diejenigen, die sich über die Zusammenhänge im Klaren waren, war das dann aber eine amüsant/charmante Déjà-Vu-Angelegenheit (das Augenzwinkern mal vorausgesetzt).
Bei der Show von Annie und ihren Musikern ging es logischerweise darum, das Album „I Depend“ mit den Arrangements der Studio-Produktion zu präsentieren. Um das Programm ein wenig aufzufüllen (das Album ist nur etwas über eine halbe Stunde lang und spontane Jam Sessions sind in einem so komplexen Setting ja nicht gut möglich) gab es dann als Bonbon noch einige neue Stücke, die entsprechend der „I Depend“-Tracks ebenfalls mit Arrangements für das ganze Ensemble versehen waren.
Das Interessante an dem Konzept ist dann die Zusammensetzung des Kleinorchesters selbst. So fiel zum Beispiel auf, dass bei der Besetzung der Bläsergruppe mit Klarinette, Bassklarinette, Posaune, Flügel- und Waldhorn wohl bewusst auf eine Trompete oder ein Saxophon verzichtet worden war – was das Klangbild dann von vornherein in eine bestimmte Richtung lenkte. Auch die Streicher-Sektion war mit Violine, Cello und teils gestrichenem Bass eigentlich gegen übliche Schemata besetzt und oft wurde auch gar nicht gestrichen, sondern rhythmisch im Pizzicato- oder Martello-Stil gearbeitet. Eine kluge Idee war es dann auch, dass sich im Hintergrund ein zweiter Gitarrist tummelte, der Annie in Sachen Rhythmus- und Solo-Arbeit songorientiert effektiv unterstützte. Auch das wirkte sich dann förderlich auf die Komplexität des gesamten Klangbildes aus.
All das wäre freilich nicht viel Wert gewesen, wenn Annie Bloch nicht vor allen Dingen die Songs selbst ins Zentrum ihrer Bemühungen gestellt hätte. Das war bereits zu beobachten, als sie ihr Material bei Solo-Shows ohne das Kleinorchester präsentierte – denn die Songs von „I Depend“ funktionieren auch in ihrem Ur-Zustand wunderbar. Das unterscheidet dann auch die Arbeiten von Annie Bloch und KünstlerInnen, die ähnlich wie sie mit avantgardistischen Streicher- und Bläserarrangements experimentieren – dabei aber oft in abstrakten Formalismen steckenbleiben. Im Falle von Annie Bloch besteht hingegen nie die Gefahr, dass der Song (und die Texte) im Sounddesign unter die Räder kommt – nicht zuletzt aufgrund ihrer eigenen, in sich ruhenden Art, die Songs mit Fokus auf die Inhalte zu präsentieren. Und die Idee, neben den Streichern und Bläsern noch eine konventionelle Band mit Drums, Bass und eben zweitem Gitarristen einzubinden, wirkte dann auch bei der Live-Präsentation wahre Wunder in dieser Hinsicht.
Kommen wir zur Präsentation selbst. Vermutlich aufgrund des Umstandes, dass der Original-Drummer Jan Philipp – der bei der Studio-Produktion nicht nur hinter dem Drumkit gesessen hatte, sondern auch den Mix des Materials gemacht (und somit auch das Sounddesign maßgeblich geprägt hatte) – anderweitig eingebunden war und nicht mit in Köln aufspielen konnte, klangen erstaunlicherweise die neuen Tracks wie „I Wish I Had Known You Before“ oder „Anything Still“ besonders tight und sortiert – obwohl gerade die es in Bezug auf Rhythmuswechsel, Melodieführung, Stops & Go’s und arrangementstechnische Finessen besonders in sich hatten. Sicher geglaubte Hits wie das im Verhältnis zu den anderen Tracks besonders lebhafte und muntere „Raft“ gerieten etwas unstet. ABER: Das ist dann Meckerei auf einem fast schon spirituellen Level. Das gilt zumal, weil selbst bei so exakt formulierter Musik im Live-Kontext durchaus gelten darf, dass Perfektion zuweilen nicht gut genug ist und die performerische Lebendigkeit sich erst über kleine Unstimmigkeiten ergibt.
Das war dann unter dem Strich ein wunderbar entspannter Konzertabend, der im übrigen Musikfreunde aus ganz verschiedenen Richtungen und Disziplinen integrativ zusammenführte und begeistern konnte. Und dazu gehörten dann ganz offensichtlich auch die endemischen „Kölschen Papageien“, die die Orangerie mehrfach überflogen und mit ihrem Zwitschern Zustimmung zu signalisieren schienen.