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Aus voller Überzeugung
Berlin, London, Paris, Brüssel, Amsterdam – eigentlich treten die amerikanischen Senkrechtstarter Lifeguard auf ihrer aktuellen Europatournee nur in den allergrößten Metropolen auf, doch an diesem Pfingstsamstag ist das junge Trio aus Chicago mit seinem „Chicago-Youth-Beat (to Dance to)“ (so die Selbstbeschreibung) tatsächlich auch im pfälzischen Kusel zu Gast. So ungewöhnlich, wie es auf den ersten Blick scheint, ist das allerdings gar nicht, denn bereits seit einigen Jahren wird hier in einem zum Kulturzentrum mutierten ehemaligen Provinzkino mit viel Herzblut ein hochkarätiges, genreoffenes Programm gestrickt. Das simple, aber in heutigen Zeiten wahrlich bemerkenswerte Erfolgsgeheimnis: Gebucht wird im Kinett ganz offensichtlich, was gefällt, und nicht das, was die meisten Einnahmen verspricht. Ein Laden mit viel subkulturellem DIY-Spirit also, und deshalb passt ein Lifeguard-Konzert hierhin wie die Faust aufs Auge.
Von den alten Kinosesseln sind nur noch ein paar am Rand des Saals drapierte Exemplare übriggeblieben, aber ansonsten erinnert im Kinett noch vieles daran, dass wir es hier mit einem ehemaligen Kino zu tun haben. Die altmodischen Lampen an den Wänden, die hohen Decken, der zur Bühne hin abschüssige Boden und natürlich die Leinwand, über die an diesem Abend ein Mix aus Live-Bildern von den Bands und psychedelischen Effekten flackern, erinnern an die frühere Bestimmung des Gebäudes.
Als erste Band des Abends stehen um kurz nach 21.00 Uhr – in Kusel hat man es nicht eilig! – Stonks aus Brüssel auf der Bühne. Die vier Musiker der Band mit der eigenwilligen Besetzung Gitarre, Bass, Schlagzeug und Trompete sind erst Anfang 20, haben aber im Underground ihrer Heimat mit zwei EPs bereits eine Menge Staub aufgewirbelt. Post-Punk, Noise, ein bisschen Shoegaze und ein Hauch von jazziger Freigeistigkeit sind die Eckpunkte für ihren Sound, den die vier im Kinett – trotz der spürbar düsterer als zuvor gestimmten Songs ihrer aktuellen „Badger“-EP – mit viel Freude am eigenen Tun zelebrieren.
Während Drummer Pol Cliquet die Songs stoisch nach vorn katapultiert und Trompeter Mathis Jeanne variantenreich Farbtupfer einwirft, die mal bedrohlich verzerrt und mal melancholische blue notes sind, haben Sänger/Gitarrist Hector Robinet und Bassist Antoine Raskinet das Stillstehen nicht erfunden und sorgen dafür, dass ihre Instrumente des Öfteren quer in der Luft liegen. Dass am Ende das herrlich wilde Bühnengebaren eher haften bleibt als die Songs, spricht nicht gegen die Qualitäten von Stonks als Liveband.
Was die Inspirationen angeht, sind Lifeguard vermutlich gar nicht so weit von ihrem belgischen Supportact entfernt – mit den Songs ihres tags zuvor veröffentlichten Debütalbums „Ripped And Torn“ stehen die jungen Amerikaner auf den Schultern der Größen von (Indie-)Pop, Punk, und Post-Punk – doch der Unterschied in der Präsentation könnte kaum größer sein.
Während sich Stonks über die gesamte Breite und Tiefe der geräumigen Kinett-Bühne verteilt hatten, bauen Kai Slater (Gitarre, Gesang), Asher Case (Bass, Bariton-Gitarre, Gesang, Noel-Redding-Gedächtnisfrisur) und Isaac Lowenstein (Schlagzeug, Synthesizer) ihre Instrumente im Stile einer Jazz-Band ganz nah beieinander und in einer Linie ganz nah am Publikum auf. Schnell wird dabei deutlich, dass das kein Gimmick ist, denn vor allem Lowenstein schaut praktisch nie nach vorn, sondern hat die Augen stets auf seine Mitstreiter gerichtet.
Mit der gleichen, nicht ganz leicht in Worte zu fassenden Melange aus Lässigkeit und Abgeklärtheit, mit der uns die Band schon im Interview erst verblüfft und dann begeistert hatte, gehen die drei auch ihr gerade einmal 45-minütiges Set an. Auch wenn Case einmal seinen Bass unangspitzt in den Boden rammt: Viel Raum für eine theatralische Rock-Show gibt es nicht, lieber faszinieren Lifeguard damit, dass sie komplett vollkommen eins mit ihren Songs sind. Nie hat man hier das Gefühl, dass man eine Aufführung sieht oder dass der Auftritt einem vorher ausgeheckten Plan folgt.
Vielmehr klingt alles so wunderbar natürlich und organisch, dass man sich fast einbilden könnte, dass die Songs – der Löwenanteil aus dem neuen Album, dazu ein paar Rückgriffe auf frühere Singles und EPs – gerade erst in diesem Moment vor unseren Ohren und Augen entstehen. Die Lieder sind laut und wuchtig, dabei aber stets minimalistisch, denn hier ist keine Note verschwendet. Man könnte auch sagen: So klingt es, wenn man Musik aus voller Überzeugung macht!
Nur einmal wird es auf der Bühne richtig wild: Als Lifeguard durch ihr Cover von „In The City“ von The Jam jagen, werden Slater, Case und Lowenstein plötzlich zu Paul Weller, Bruce Foxton und Rick Buckler und klingen dabei nicht nur wie die alten Mod-Pop-Heroen, sie sind für zweieinhalb Minuten The Jam, und ganz ehrlich: Einen besseren Beweis dafür, dass die drei vollkommen in der Musik aufgehen, die sie spielen, hätte es kaum geben können. Mit einem Wort: Atemberaubend!