Share This Article
Ein musikalischer Side Quest der besonders subtilen Art: Auf ihrem just erschienenen neuen Album „My Light, My Massage Parlor“ transformiert Cassandra Jenkins die Songs ihrer klanglich weitreichenden letztjährigen Glanztat „My Light, My Destroyer“ selbstironisch und doch aufrichtig mit betont sanftem Touch in dezente Ambient-Instrumentals, die zwischen dahingetupften Klavierklängen und Field Recordings ganz viel Raum für Atmosphäre lassen. Das Resultat ist ein Album zum Entspannen und Genießen, mit dem die in New York City heimische Musikerin die Perspektive wechselt und ihre Songs als räumliches Klangerlebnis erfahrbar macht.
Mit „My Light, My Massage Parlor“ lädt uns Cassandra Jenkins ein, noch tiefer in ihre kleine Welt einzutauchen. Schon auf dem im vergangenen Sommer erschienenen Album „My Light, My Destroyer“ hatte sie die Ideen für viele Songs unmittelbar aus ihrem Leben gepflückt und dafür kaum mehr machen müssen, als aus dem eigenen Fenster zu schauen. So liegt der in „Delphinium Blue“ verewigte Blumenladen, in dem sie eine Zeit lang gearbeitet hatte, nur einen Steinwurf entfernt von ihrem Zuhause an der Upper West Side in New York, und auch die Zoohandlung, dem der Song „Petco“ seinen Namen verdankt, ist nur ein paar Blocks weiter zu finden.
Der Titel des neuen Albums spielt nun auf ein Wellnesszentrum an, das, wie könnte es anders sein, auch bei Jenkins um die Ecke liegt und das für sie zu einer Inspiration, aber auch zu einer kleinen Obsession geworden ist. Gestanden hat sie das den Besitzern übrigens noch nicht, aus Angst, sie damit zu verschrecken… Kein Wunder also, dass der Massagesalon auch im neuen Video zu „Wormhold Music“ eine Rolle spielt (und zudem den Backdrop für ihr aktuelles Pressefoto abgibt). Passend dazu klingen weichgezeichneten neuen Versionen der Songs wie der perfekte Soundtrack für einen Aufenthalt in einer Wellnessoase. Auf den ersten Blick könnte man das für einen augenzwinkernden Scherz halten, doch natürlich steckt mehr dahinter.
„Ich mache mich nicht darüber lustig, tatsächlich mag ich die Musik sogar sehr“, gesteht Jenkins beim Treffen mit Gaesteliste.de nach ihrem wunderbaren Auftritt in Utrecht vor wenigen Tagen. „Es gibt einen bestimmten Grund, warum ich in diese Richtung gehen wollte. Ich war schon immer neugierig, was unsere Sprache rund um die Themen Wellness, Wohlbefinden und New Age angeht. Dieses Album ist mein Streifzug durch eine sehr spezifische musikalische Sprache, die zu einer Art Standard geworden ist. Ich fragte mich: Warum ist das ein Standard? Wer schreibt diese Art von Musik? Und: Kann ich das auch?“
Jenkins‘ goldenes Händchen für subtilen Humor und eine betont emotionale Ausdrucksform blitzen derweil auch in diesen Versionen der Lieder auf, wenngleich ihre Stimme – abgesehen von zwei kurzen Sprachnachrichten – auf der neuen LP fehlt. Vollkommen neu ist diese Idee nicht. Schon auf dem letztjährigen Album hatte es eine Nummer gegeben, die ohne Jenkins‘ Gesang ausgekommen war.
Doch soll das etwa bedeuten, dass die 41-jährige Musikerin den Plan verfolgt, sich – oder zumindest doch ihren Gesang – mehr und mehr aus ihrer eigenen Musik herauszuhalten? „Das ist eine gute Frage“, antwortet Jenkins lachend. „Ich glaube, es ist eher eine Transmutation, eine Verwandlung. Meine Stimme drückt sich nicht wortwörtlich aus, sondern in den Entscheidungen, die ich treffe. Dies war das erste Mal, dass ich etwas von Anfang bis Ende produziert habe. Ich habe auch viel selbst aufgenommen und gelernt, wie man in Dolby Atmos abmischt. So kam meine Stimme z. B. durch den Raumklang und einige der kleinen Entscheidungen, die ich getroffen habe, zum Ausdruck, und dadurch, worauf ich mein Hauptaugenmerk richte. Mit dem, was ich hier zeige, konnte ich eine Menge ausdrücken. Außerdem habe ich einfach etwas gemacht, was ich machen wollte. Ich war mir nicht einmal wirklich sicher, warum, aber ich musste es machen. Ich denke, dass es ein echter Ausdruck einer Idee ist, die ich hatte, und darin liegt für mich eine Menge Kreativität. Ich werde aber nicht aufhören zu singen!“
Obwohl, oder gerade weil sie die Songs auf „My Light, My Destroyer“ bei unserem letzten Interview noch als „Sammlung von Ausreißern“ beschrieben hatte, folgt das neue Album nun klaren konzeptionellen Regeln. Während letztes Jahr zwischen naturbelassenem Indierock, subtilem Kammerfolk, verschwommenem New Age, feingeistigem Pop mit elektronischer Färbung und kosmischen Jazz-Verweisen alles möglich schien, setzen die neu erdachten Versionen auf das prägende Klavierspiel des langjährigen Jenkins-Mitstreiters Michael Coleman, während Gäste wie Jenkins‘ Bruder Reid, Nora Stanley und V.V. Lightbody Farbtupfer in Form von Streichern, Saxofon und Flöte beitragen. Auch die Songtitel tragen der Verwandlung der Lieder Rechnung. So wird aus „Only One“ nun „Only Relaxation“, „Delphinium Blue“ mutiert zu „Delphinium Bliss“ und “Betelgeuse” heißt jetzt „Betelgeuse Masseuse“.
Während der Entstehung von „My Light, My Massage Parlor“ war Jenkins, das klang bereits an, nicht zuletzt auch von den Möglichkeiten begeistert, die sich ihr durch das Dolby-Atmos-Verfahren beim Abmischen der Tracks offenbarten. „Das Ganze ist sehr subtil, aber mir wurde plötzlich klar, dass ich als sehr visueller Mensch, der Kunst studiert hat, eine skulpturale Beziehung zum Klang habe und nun ein Werkzeug besitze, das mir hilft, den Klang auf eine neue Art zu formen, was sehr, sehr aufregend war. Es fühlte sich an wie etwas, das ich schon mein ganzes Leben lang machen wollte, und tatsächlich habe ich das auch schon vorher gemacht, wenngleich auf DIY-Art. Bei einem meiner Projekte im College habe ich für meine Präsentation einen kleinen Walkman unter die Stühle gelegt, und das war mein Dolby Atmos jener Zeit… Jetzt habe ich das Gefühl, dass ich neue Werkzeuge habe, mit denen ich weiterarbeiten kann. Ich kann es kaum erwarten, neue Songs zu schreiben und dann noch mehr mit dem Raum zu spielen.“
Es sind allerdings nicht allein die Songs ihres letzten Albums die Jenkins dieser Tage einem Update unterzieht. Wer sie momentan live erlebt, bekommt eine brandneue Version von „Hard Drive“ zu hören, der einmaligen Spoken-Word-Nummer aus ihrem fabelhaften 2021er-Werk „An Overview On Phenomenal Nature“, mit deren überarbeitetem Text sie das Lied nach der erneuten Wahl von Donald Trump gewissermaßen auf den neuesten Stand bringt. Steckt dahinter vielleicht auch die von Bob Dylan bereits vor 50 Jahren verinnerlichte Erkenntnis, dass man nicht immer neue Lieder schreiben muss, sondern genauso gut alte Lieder in neue transformieren kann – egal ob mit den Pianoversionen der neuen LP oder eben dem umgekrempelten „Hard Drive“?
Jenkins muss lachen, bevor sie antwortet: „Das ist eine wunderschöne Sicht der Dinge, allerdings hat das Ganze eher praktische Gründe. Wenn ich auf Tour bin, liebe ich es, mit Leuten in Kontakt zu kommen, und ich weiß, dass dieser Song einer ist, zu dem sie eine Beziehung haben. Ich dagegen lief Gefahr, die Verbindung zu dem Lied zu verlieren, weil ich das Gefühl hatte, dass der Text keinen Bezug mehr zu der Situation hat, in der wir uns nun befinden. Ich hatte ja keine Ahnung, dass wir diesen Verrückten erneut wählen würden, aber so ist es nun mal gekommen. Die ursprüngliche Version des Songs bildet ein unschuldiges, vergangenes Ich ab, zu dem ich keinen Zugang mehr habe – mir ging damals viel weniger durch den Kopf!“ Sie lacht. „Das ist vollkommen in Ordnung, und ich bin überzeugt, dass der Song gut altern wird, weil er weit genug herauszoomt, um der Zeit zu widerstehen. Aber wenn es darum geht, ganz spezifisch heute über die schwierige Situation in unserem Land, in unserer Welt zu sprechen, muss das erneut thematisiert werden, speziell, wenn es darum geht, dass den Menschen ihre Rechte weggenommen werden und es einen Genozid gibt.“
Natürlich ist Jenkins bewusst, dass diese Probleme nicht neu sind, aber durch die weltpolitischen Ereignisse haben sie in den letzten Monaten eine neue Dimension bekommen. „Ich bin der Meinung, dass es nun viel dringlicher ist, dass wir das angehen und uns dafür zusammenschließen“, ist sie überzeugt. „Es ist leicht, die Hoffnung zu verlieren und nicht zu wissen, welchen Sinn es hat, in einem Raum voller Menschen darüber zu sprechen, aber ich muss immer wieder auf die Idee zurückkommen, dass es sehr wirksam ist, wenn wir uns auf einer Ebene verbinden, die liebevoll ist. Das lohnt sich! Genau das versuche ich zu tun, und das kann mir nicht gelingen, wenn ich es nur halbherzig mache, weil ich das Gefühl habe: ‚Oh nein, eigentlich will ich diesen Song nicht mehr spielen.‘ Das kann ich nicht bringen, also musste ich den Text ändern.“
Zwischen den Zeilen drückt Jenkins damit genau das aus, was sie so besonders macht. Denn welche Form ihre Musik auch immer annimmt: Zwischen Verspieltheit und Aufrichtigkeit ist sie doch vor allem eine von unbändiger Neugier getriebene Herzensangelegenheit.
„My Light, My Massage Parlor“ von Cassandra Jenkins erscheint auf Dead Oceans.