Share This Article
Genau so muss Alternative Rock im Jahre 2025 klingen: Auf ihrem fabelhaften zweiten Album, „Caramel“, verbinden die britischen Senkrechtstarter Coach Party Indie-Charme, Riot-Grrrl-Wucht und rabiaten Punk-Spirit mit einem Faible für eingängige Pop-Ohrwürmer, die keine Berührungsängste vor synthetischen Sounds und digitalen Tricks kennen. In gerade einmal 33 Minuten stürmt das Quartett von der Isle of Wight durch zehn Songs, die für Filler oder große Verschnaufpausen wenig Raum lassen, und vertonen so die Irrungen und Wirrungen der modernen Welt, die den Weg zwischen Leidenschaft und Leid heute oft ganz kurz erscheinen lassen.
Es gibt Bands, die begeistern nicht nur mit dem, was sie musikalisch machen, sondern auch damit, wie sie es machen. Coach Party sind eine solche Band. Beim frühmorgendlichen Videocall mit Frontfrau Jess Eastwood wird schnell klar, dass es kein Zufall ist, dass „Caramel“ eine der spannendsten Platten im Dunstkreis von Indie und Alternative Rock ist, die in diesem Jahr erschienen sind.
Denn wenngleich sich die Ziele und Wünsche der Band für die Zukunft gar nicht groß von denen anderer junger Acts unterscheiden – eine größere Reichweite, ein sicheres Einkommen durch die Musik und eine US-Tour wären schon schön, sagt Jess -, gehen die vier spürbar weniger verbissen an die Verwirklichung ihrer Träume heran.
Deshalb darf man bei Coach Party wirklich das Gefühl haben, dass die Musik und echtes Bandfeeling wichtiger sind als die nächste Stufe auf der Karriereleiter zu erreichen. Nicht zuletzt deshalb klingt „Caramel“ vom ersten Ton an wie das Werk einer Band, die sehr genau weiß, was sie will, die aber deshalb lange noch nicht gewillt ist, Kompromisse zu machen, um eine Abkürzung auf dem Weg zum erhofften Ruhm zu nehmen. Coach Party wissen, dass das Leben Ecken und Kanten hat – und so klingen auch ihre Songs.
Ein kurzer Blick zurück: Sängerin/Bassistin Jess und Gitarristin Steph Norris machen schon seit rund zehn Jahren gemeinsam Musik. Anfangs noch im Duo als Jeph, schon bald aber gemeinsam mit Gitarrist Joe Perry und Drummer und Produzent Guy Page als Coach Party. Doch auch wenn sich seitdem viel verändert hat – der Antrieb für das Musikmachen ist zumindest für Jess immer noch der gleiche.
„Musik bedeutet mir alles, sie ist wirklich alles für mich“, gesteht sie. „Sie kann mich unglaublich traurig machen oder mich aus meiner Traurigkeit herausholen, sie kann mir ein gutes Gefühl geben oder mir Energie geben. Sie ist mein ganzes Leben lang eine Konstante für mich gewesen. Ich denke, der einzige Unterschied beim Musikmachen ist, dass ich jetzt vor dem Schreiben der Songs über die Menschen nachdenke. Ich denke darüber nach, wie die Menschen das, was ich sage oder singe, interpretieren werden, denn ich möchte im Grunde genommen einfach, dass die Menschen beim Hören der Musik dasselbe empfinden wie ich – und das ist einfach sehr viel. Ich möchte, dass sie dieses therapeutische Gefühl spüren, das mir die Musik gibt.“
Bisher scheint das eine leichte Übung für Jess und Coach Party gewesen zu sein. Mit drei zu Pandemie-Zeiten erschienenen 10″-EPs konnte die Band daheim in Großbritannien praktisch aus dem Stand viel Staub aufwirbeln – und sich, sobald das wieder möglich war, mit der herrlich chaotischen Energie ihrer Konzerte schnell einen Ruf als eine der aufregendsten neuen Bands von den britischen Inseln erspielen. Das erklärte Ziel damals: Irgednwann in den gleichen Spähren unterwegs sein wie ihre Idole, wie Snail Mail, The Magic Gang, The Big Moon oder Alvvays. Hat funktioniert!
Das mitreißende Debütalbum „Killjoy“ trug die vier dann im Jahre 2023 um die ganze Welt – Supportslots für Queen Of The Stone Age oder Bombay Bicycle Club und inspirierende Festival-Begegnungen mit The Chemical Brothers oder Pixies inklusive. In Deutschland waren Coach Party als Support der ebenfalls von der Isle of Wight stammenden Überfliegerinnen Wet Leg zu sehen, mit denen sie zumindest künstlerisch inzwischen längst auf Augenhöhe sind.
Wer das nicht glaubt, hat „Caramel“ noch nicht gehört. Mitreißend wie konfrontativ ist die LP vollgetopft mit facettenreichen Alternative-Rock-Bangern, in denen Ambitionen und Eingängigkeit, Frustration und Mitgefühl verschmelzen. Geschrieben von allen vier Bandmitgliedern und produziert – wie alle früheren Veröffentlichungen auch – von Drummer Guy, nutzen Coach Party hier ihr „Killjoy“-Debüt als Sprungbrett, vergessen aber gleichzeitig nicht, was sie in der Vergangenheit ausgezeichnet hat.
„Wir vier teilen die Liebe zur Gitarrenmusik und zu heavy music, deshalb wollten wir für dieses Album nicht zu viel verändern“, erklärt Jess. „Auch wenn wir in einer Welt leben, in der alles vergänglich und wegwerfbar ist, so hoffe ich doch, dass diese Schnelllebigkeit nur eine Phase ist, und dass wir als Gesellschaft irgendwann an den Punkt kommen, an dem es wieder zählt, etwas zu machen, das die Zeit überdauert. Wir wollen für unseren Sound bekannt sein, und wir wollen klar definieren, was dieser Sound ist. Daher ist es für uns wichtig, dass wir uns weiterentwickeln, dass wir aber trotzdem auch erkennbar wir bleiben.“
Gleich der Opener „Do It For Love“ zündet deshalb zwischen Alternative-Rock und Electroclash als stadiontaugliche Hymne (obwohl es ironischerweise darum geht, von der Musik nicht leben zu können), und auch der Schlachtruf „Where the fuck are my girls?“ aus der hyperventilierenden Leadsingle „Girls!“ ist wie gemacht dafür, auf Häuserwände gesprüht zu werden – oder sich zumindest auf Fan-T-Shirts wiederzufinden.
Das gilt auch für „Disco Dream“, mit Black Honeys Izzy Bee Phillips als Featured Artist, das besser als keine andere Nummer das neue Selbstbewusstsein und veränderte Selbstverständnis des Quartetts symbolisiert. Allerdings gibt es auch Songs wie „I Really Like You“ oder den zumindest klanglich versöhnlichen Ausklang „Still Hurts“, mit denen Coach Party, ähnlich wie vor ihnen Wolf Alice, die Möglichkeiten jenseits eines brachialen Wall of Sounds entdecken.
„Wenn ich mich richtig erinnere, entstand ‚I Really Like You‘ im Proberaum“, verrät Jess. „Das war einfach ein Moment, in dem wir alle das Gefühl hatten, dass das ein schöner Song ist, der es verdient, so zu klingen, wie er gedacht ist, nämlich sanft und verträumt – ganz anders als ‚Girls!‘, das sehr provokativ und selbstbewusst ist. Das sind nie bewusste Entscheidungen, aber wir möchten uns nicht einschränken, indem wir uns in eine Schublade zwängen. Das ist uns einfach wichtig.“
Dass es Coach Party hörbar leichter fällt als vielen anderen seelenverwandten Künstlerinnen und Künstlern, unvoreingenommen an die eigene Musik heranzugehen, liegt vielleicht nicht zuletzt auch an der ungewöhnlichen Rollenverteilung in der Band. Während für gewöhnlich die Frontleute die Gitarren spielen und die Rhythmusgruppe oft austauchbar erscheint, sorgen hier Frontfrau Jess als Bassistin und wie bereits angedeutet Schlagzeuger Guy als Produzent dafür, dass es eine andere Art von Gleichgewicht, eine andere Dynamik gibt. Das führt dazu, dass wirklich niemand in der Band ersetzbar ist. Unterstrichen wird das auch durch die Tatsache, dass sich die vier seit jeher die Songwriting-Credits teilen – unabhängig vom tatsächlich geleisteten Beitrag.
„Songwriting-Credits oder Geld hatten niemals wirklich Einfluss auf unsere Art zu schreiben oder zu denken“, sagt Jess bestimmt. „Wir alle geben 100 %. Vielleicht nicht immer, aber auf jeden Fall in dem Sinne, dass sich unser Alltag komplett um die Band dreht. Es spielt also keine Rolle, ob man den Song geschrieben hat oder nicht, denn man ist Teil dieser Maschine, die aus irgendeinem Grund ein 24/7-Job ist. Es geht um uns alle, und es wäre unfair, wenn nur eine Person die Anerkennung und das Geld dafür bekäme, weil wir gemeinsam so viel Zeit und Liebe investieren – deshalb sollte geteilt werden.“
Dieses besondere Zusammengehörigkeitsgefühl ist sicherlich mit ein Grund dafür, dass die Band auch weiterhin unerschrocken ihren eigenen Weg geht. Das gilt speziell auch für die Texte, die nicht zuletzt von Isolation und Einsamkeit im digitalen Zeitalter handeln. Scheu vor schonungsloser Offenheit kennt Jess dabei selbst dann nicht, wenn sie in „Georgina“ die eigenen Mental-Health-Probleme beschreibt.
„Man darf beim Musikmachen keine Angst haben“, sagt Jess. „Künstlerin zu sein bedeutet für mich, meine Gefühle offen zu zeigen und etwas zu schreiben, das das Publikum so interpretieren kann, wie es möchte. Außerdem kann es eine Möglichkeit für die Zuhörenden sein, eine Verbindung zu mir aufzubauen und herauszufinden, wie ich mich fühle. Ich finde, das ist das Tolle an Musik, dass es diese Verbindung gibt, und ich glaube, deshalb hat sie uns schon immer so angezogen, weil sie eine Möglichkeit ist, herauszufinden, wie wir alle fühlen.“
Apropos Zusammenhalt: Aufgenommen haben Coach Party das neue Album daheim auf der Isle of Wight, wo alle vier immer noch, bzw. inzwischen wieder wohnen. „Ich bin tatsächlich nach London gezogen, aber dann bin ich auf die Isle of Wight zurückgekehrt, weil ich denke, dass es wichtig ist, dass wir alle am selben Ort leben“, erklärt Jess. „Abgesehen davon ist die Isle of Wight wunderschön. Sobald der September beginnt bis etwa März, ist es sehr ruhig, und das ist die Zeit, in der man hier am klarsten denken kann. Wir haben diese Platte in genau diesen Monaten aufgenommen, deshalb klingt sie wahrscheinlich so, wie sie klingt. Hätten wir sie im Sommer eingespielt, wäre daraus vielleicht etwas ganz anderes geworden!“
Viel Zeit daheim verbringen kann Jess auch in den kommenden Monaten, denn die erste Europa-Tournee als Headliner – in Deutschland sind Konzerte in Köln, München und Berlin geplant – steht für Coach Party erst im Februar und März 2026 auf dem Programm. Darüber ist sie aber gar nicht böse, wie sie uns abschließend verrät: „Ich liebe es, zu Hause zu sein! Ich liebe auch, dass nun der Herbst kommt, denn ich mag den Sommer, aber ich liebe den Herbst und ich liebe es, einfach nur Kaffee oder heiße Schokolade trinken zu gehen und zu entspannen. Außerdem werde ich bald ein Anglistik-Studium beginnen, und ich will versuchen, das irgendwie mit der Musik unter einen Hut zu bringen. Ambitioniert zu sein, aber gleichzeitig auch ein ruhiges Leben zu führen – das ist das, was mich glücklich macht!“
„Caramel“ von Coach Party erscheint auf Chess Club Records.




