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„Ich finde, das neue Album ist viel authentischer. Es ist freudvoller, romantischer, weniger introspektiv und weniger auf meine persönliche Reise bezogen. Es ist eher eine Art Auto-Fiktion. Es ist eine dramatisierte Version der Herzschmerz-Erfahrungen, die ich in meinem Leben gemacht habe“, sagt Harriette Pilbeam über „Licorice“, ihr feines drittes Album unter dem Namen Hatchie. Tatsächlich darf man beim Hören der LP schnell das Gefühl bekommen, dass Hatchie bei sich selbst angekommen ist.
Jetzt jagt die 32-jährige australische Musikerin nicht mehr irgendwelchen klanglichen Idealen zwischen den Cocteau Twins und The Sundays hinterher, sondern verlässt sich ganz darauf, was sich für sie richtig anfühlt. Mit Jay-Som-Mastermind Melina Duterte als Co-Produzentin trifft Hatchie hier den Sweetspot zwischen den Dream-Pop/Shoegaze-Referenzen ihres Debüts „Keepsake“ und dem experimentierfreudigen Pop-Glanz ihrer zweiten LP, „Giving The World Away“. Hier geht es nicht in erster Linie um Neuerfindung, sondern um Selbstverwirklichung, und genau deshalb ist „Licorice“ Hatchies vielleicht beste, auf jeden Fall aber liebenswerteste Platte. Gaesteliste.de hatte die große Freude, mit Harriette Pilbeam über ihr neues Album, Musik als Hobby, den Reiz trauriger Songs und tragische, romantische Filme als Inspirationsquelle zu sprechen.
GL.de: Hallo Harriette, wie geht’s?
Harriette: Mir geht’s prima. Ich bin eben von der Arbeit nach Hause gekommen und habe gerade zu Abend gegessen, und jetzt kann ich einfach chillen.
GL.de: Das klingt gut. Danke, dass du dir die Zeit für unsere Fragen nimmst. Zum Warmwerden am Anfang: Welche Bedeutung hat die Musik in deinem Leben – und wie hat sich das über die Jahre gewandelt?
Harriette: Tolle Frage! Ich denke, in letzter Zeit geht es mir beim Musikhören vor allem darum, Neues zu entdecken. Ich bin heute in meinen Hörgewohnheiten viel aufgeschlossener, deshalb macht es mir viel Freude, Sachen zu hören, die ich noch nicht kenne. Als ich jünger war, war Musik nicht zuletzt ein Trostspender, wenn ich mich isoliert oder traurig gefühlt habe. Dann gab es aber auch noch eine Phase dazwischen, in der ich das Gefühl hatte, dass Live-Spielen alles ist, was ich mache. Zu der Zeit konnte ich das Musikhören nicht so richtig genießen. Deshalb freue ich mich, jetzt an einem Punkt angekommen zu sein, wo es mir wieder Freude macht. Ich entdecke jeden Tag neue Sachen.
GL.de: Kannst du dich daran erinnern, wann Musik zum ersten Mal wirklich Eindruck auf dich gemacht hat?
Harriette: Das muss passiert sein, als ich noch sehr klein war. Ich bin in einer sehr musikalischen Familie aufgewachsen. Ich bin die Jüngste von vier Kindern, und all meine Geschwister sind auch sehr musikalisch, und das gilt auch für meine Eltern und meine Onkel. An Feiertagen wie Weihnachten oder Ostern hat die ganze Familie dann zusammengesessen und Musik gespielt und zu Platten von Van Morrison, Todd Rundgren oder Carole King mitgesungen. Das sind meine ersten Erinnerungen, in denen Musik eine Rolle spielt. Ich kann mich auch erinnern, wie meine Mutter Klavier gespielt hat und mein Bruder Gitarre und ich habe dazu gesungen. Das hat uns wirklich zusammengeschweißt.
Gl.de: Wenn du Todd Rundgren oder Carole King erwähnst, ist das natürlich ein ganzes Stück entfernt von der Musik, die du dann später veröffentlicht hast. Wie bist du zu deinem Sound gekommen – und was hat dich daran besonders fasziniert?
Harriette: Ich habe Shoegaze und Dream-Pop erst entdeckt, als ich schon älter war. Einige Freunde und mein Ehemann haben mich darauf gebracht. Da hat auch in Sachen Streaming Services und YouTube alles gepasst, denn 2010/2011 war der Algorithmus einfach richtig gut. So konnte ich eine Menge Sachen entdecken. Ich bin gar nicht sicher, was mich daran besonders angezogen hat. Zu Anfang hat sicherlich eine Rolle gespielt, dass die Sachen, die ich hörte, zum Beispiel Cocteau Twins, sehr euphorisch und sehr romantisch für mich klangen. Das war zunächst das, was mich besonders gefesselt hat. Außerdem habe ich es genossen, Musik zu hören, die mehr auf den Sound und nicht auf die Texte fokussiert ist, denn ich selbst konzentriere mich auch viel stärker auf den Klang als auf den Inhalt. Dass es da Musik gab, mit der ich mich verbunden fühlte, ohne dass ich die Texte verstehen musste, hat mich sehr angezogen.
GL.de: Du hast eingangs erwähnt, dass du gerade von deinem day job nach Hause gekommen bist. Oft haben ja Musikerinnen und Musiker, die nicht alles auf eine Karte setzen und ein reguläres Leben neben der Musik haben, eine viel weniger verbissene Sicht auf Themen wie Erfolg und Trends und machen deshalb einfach bessere Musik – auch wenn sie weniger Zeit dafür haben. Vor diesem Hintergrund: Wie glücklich bist du mit 32, wenn du auf deine bisherige Karriere als Musikerin zurückblickst?
Harriette: Zunächst einmal möchte ich sagen, dass ich dem, was du gerade gesagt hast, vollkommen zustimme. Ich sehe das ganz genauso. Meine Musik ist viel besser, wenn ich auch noch andere Sachen mache. Eine Zeitlang habe ich versucht, die Musik zu meinem Hauptberuf zu machen, aber ich denke, dass die Musik in gewisser Weise darunter gelitten hat, weil ich so verbissen war. Ich bin sehr zufrieden mit meiner aktuellen Situation. Das Musikmachen fügt sich sehr gut in mein normales Leben ein. Das bedeutet, dass die Musik vor allem ein kreatives Ventil für mich ist und dass ich mich mehr darauf freuen kann. Wenn ich auf der Arbeit bin, denke ich ständig an die Musik, die ich machen könnte. Das führt dazu, dass ich es viel mehr zu schätzen weiß, wenn ich endlich Zeit zum Musikmachen habe – so wie das mit jedem schönen Hobby ist. Ich habe wirklich das Gefühl, dass es mir hilft, Vollzeit in einem Job zu arbeiten, der mit Musik nichts zu tun hat.
GL.de: Ist das auch einer der Gründe, warum du dich auf deinem neuen Album klanglich weniger einschränkst? Dein erstes Album war ein wenig dadurch gekennzeichnet, dass du deinen Idolen nachgeeifert hast, mit dem zweiten dagegen wolltest du dich so weit wie möglich davon distanzieren, und jetzt ist einfach alles erlaubt, was sich richtig anfühlt? Darf man das so sagen?
Harriette: Auf jeden Fall, ja! Ich finde, du hast den Nagel auf den Kopf getroffen! Mit dem zweiten Album habe ich wirklich versucht, zu experimentieren. Ich glaube, das war zum Teil eine Reaktion darauf, dass ich im Lockdown war und irgendwie neu bewertet habe, was ich tat, und mir einfach bewusst wurde, wie zerbrechlich das Leben ist. Also wollte ich alles ausprobieren. Bei diesem Album hingegen bin ich zu dem zurückgekehrt, was ich für meine Stärken halte. Es hat Spaß gemacht, auf dem letzten Album verschiedene Dinge auszuprobieren, aber jetzt habe ich das Gefühl, meinen Sound gefunden zu haben. Die frühen Sachen waren eher von bestimmten Acts beeinflusst, aber jetzt versuche ich, mich von niemandem speziell beeinflussen zu lassen. Natürlich hört man immer noch viele meiner Einflüsse heraus, aber ich finde, es klingt auch mehr nach mir.
GL.de: Wegen des Lockdowns hattest du alle Zeit der Welt, an „Giving The World Away“ zu arbeiten. Das ist ein Aspekt, der nun auch bei „Licorice“ wichtig war, oder?
Harriette: Ja, ich habe versucht, es diesmal etwas langsamer anzugehen. Ich habe eine Pause von Tourneen und allem anderen gemacht, weil ich mich mental und kreativ so erschöpft fühlte. Das bedeutete, dass die Songs atmen konnten und die Ideen sich natürlich entwickeln konnten, anstatt dass ich sie erzwingen musste.
GL.de: Produktionstechnische Unterstützung hattest du dieses Mal von Melina Duterte alias Jay Som. Was hast du dir von der Zusammenarbeit erhofft?
Harriette: Mir gefiel, dass sie einen klassischen Indie-Rock-/Indie-Pop-/Dream-Pop-Sound hat, und mir war auch wichtig, dass sie keine „Pop“-Produzentin ist. Viele Leute haben mir vorgeschlagen, mit einem Pop-Produzenten in Amerika zusammenzuarbeiten, aber ich wollte etwas anderes ausprobieren. Ich wollte mit einer Frau zusammenarbeiten, und wir haben viele gemeinsame Einflüsse, also passte sie perfekt. Sie hat auch auf einigen Tracks Gitarre gespielt, und das Ganze war eine wirklich tolle Erfahrung.
GL.de: Du hast zwar eben erwähnt, dass dir der Sound wichtiger ist als die Texte. Trotzdem sei die Frage erlaubt, was dir inhaltlich wichtig ist.
Harriette: Zu Beginn des Projekts interessierte ich mich mehr für Bilder und Metaphern, und beim zweiten Album wollte ich eher Geschichten erzählen, das war viel deskriptiver. Für diese neue Platte habe ich mich stark von Liebesfilmen inspirieren lassen und habe versucht, nicht zu viel über die Texte nachzudenken. Das Wichtigste bei diesem Album war, dass ich versucht habe, mich an meine ursprünglichen Ideen zu halten und nur kleine Änderungen vorzunehmen. Ich wollte mich von meiner natürlichen Inspiration leiten lassen, daher bin ich mir nicht ganz sicher, wonach ich in den Texten eigentlich gesucht habe. Ich glaube, ich habe nach Dingen gesucht, die sich nicht gekünstelt oder erzwungen anfühlen.
GL.de: Wenn du romantische Filme als Inspiration nennst: Welche waren das?
Harriette: Zum einen „Die Regenschirme von Cherbourg“ (1964) von Jacques Demy. Das ist einer meiner absoluten Lieblingsfilme. Ich liebe auch „Porträt einer jungen Dame in Flammen“ (2019), das war eine riesengroße Inspiration, und so ziemlich alle Filme, die ein tragisches Ende haben, wo die Liebenden am Ende nicht zusammen sind, wie „Blue Valentine“ (2010) mit Ryan Gosling und Michelle Williams oder natürlich „Before Sunrise“ (1995), das wären einige der echten Klassiker.
GL.de: Ist das deine Art zu sagen: „Ich bin glücklich verheiratet, aber trotzdem weiß ich, dass traurige Songs mehr zu Herzen gehen“?
Harriette: Ja, ganz genau! Mein Leben läuft in sehr regelten Bahnen und ist ziemlich langweilig, deshalb schreibe ich gerne über solche Dinge, weil sie viel interessanter sind als mein wirkliches Leben.
GL.de: Würdest du dich als nostalgischen Menschen bezeichnen?
Harriette: Ich habe in letzter Zeit genau darüber nachgedacht und glaube, dass ich früher nostalgischer war. Ich bin eigentlich ziemlich logisch und pragmatisch und versuche, nicht zu viel zurückzublicken, aber ich bin definitiv sentimental.
GL.de: An anderer Stelle hast du dieses Album als „eine Kombination aus allem, was gekommen ist“ bezeichnet. Was sind deiner Meinung nach die wichtigsten Lektionen, die du auf deinem Weg gelernt hast und die du jetzt für dieses Album oder vielleicht sogar für die Zukunft nutzen kannst?
Harriette: „Weniger ist mehr“ ist die wichtigste Lektion, denke ich. Das passt zu dem, worüber wir zuvor gesprochen haben: die Songs nicht zu überarbeiten, sich an die ersten Ideen zu halten und den Songs Raum zum Atmen zu geben und ihnen Zeit zu lassen, anstatt zu viel dran zu feilen. Ich glaube, als ich mein zweites Album gemacht habe, war ich ein bisschen zu sehr darauf fixiert, beweisen zu wollen, dass ich auch über andere Dinge als Liebe schreiben kann und dass ich viele verschiedene Genres beherrsche. Jetzt versuche ich einfach, das zu tun, was ich am besten kann, und mich an das zu halten, was ich weiß. Ich möchte einfach die Musik machen, die ich liebe.
GL.de: Zum Schluss: Wo darf und soll dich „Licorice“ denn hinführen?
Harriette: Ehrlich gesagt habe ich null Erwartungen, was dieses Album angeht. In der Vergangenheit hatte ich bisweilen eine große Erwartungshaltung und wurde enttäuscht, deshalb versuche ich mich an einer Zen-Haltung und erwarte erst einmal gar nichts. Allerdings würde ich sehr gerne mehr auf Tour gehen, vor allem in Europa und Asien, das sind zwei große Regionen, die auf meiner Wunschliste stehen, genauso wie Südamerika. Ich möchte vor allem in Gebieten auf Tour gehen, in denen ich noch nie gewesen bin. Abgesehen davon hoffe ich einfach, dass sich die Menschen etwas weniger einsam fühlen, wenn sie meine Musik hören. Uns allen wurde schon mal das Herz gebrochen und das kann sich schnell wie das Ende der Welt anfühlen, aber das stimmt natürlich nicht. Das ist nur ein temporäres, kein permanentes Gefühl, und daran möchte ich mich immer erinnern.
„Licorice“ von Hatchie erscheint auf Secretly Canadian/Cargo.




