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Mit Nachdruck
„Wicked double bill tonight!“, schreibt Tamara Lindeman wenige Stunden vor dem Auftritt in Köln auf ihren Social Media-Känalen – und das ist nicht geflunkert. Schließlich steht an diesem Abend nicht nur ihre fabelhafte Band The Weather Station auf der komplett mit Instrumenten zugestellten kleinen Bühne des Luxors, sondern auch noch ihre Landsleute von Destroyer – oder anders gesagt: Hier begegnen sich zwei heimliche Giganten der kanadischen Indie-Szene, denen in den letzten Jahren – ach was: Jahrzehnten – ihre musikalischen Visionen und die beständige Suche nach neuen musikalischen Ausdrucksformen stets wichtiger waren, als nach Abkürzungen auf der Straße zum Erfolg zu suchen.
Das Konzert ist ausdrücklich als Doppelkonzert und nicht als Support/Headliner-Combo angekündigt, aber zumindest auf dem Parkstreifen vor dem Luxor sind die Kräfteverhältnisse klar geregelt. Der riesige weiße Nightliner (plus Anhänger!) gehört Destroyer, der kleine rote Sprinter, der im Schatten des fahrbaren Ungetüms parkt, ist das Tourmobil von The Weather Station.
Tatsächlich sind es Tamara Lindeman und Co., die den Abend eröffnen – und dabei durchaus überraschen können. Obwohl auf der Setlist praktisch die gleichen Songs stehen wie beim famosen Berliner Konzert im Frühjahr, beweist die Band in Köln ihre Flexibilität und Wandlungsfähigkeit, übrigens auch in personeller Hinsicht, denn auf dieser Tour gehören neben Lindeman, ihrem langjährigen Bassisten Ben Whiteley und der immer wieder für besondere Akzente sorgenden Karen Ng (Saxofon/Querflöte/Synth) nun auch der zurückgekehrte belgische Drummer Erik Heestermans und Keyboarder Geordie Gordon zum Ensemble.
War der Auftritt in Berlin damals eher eine Inszenierung, eine theatralische Aufführung, bei der Lindeman in jazzig improvisierten Überleitungen hochkonzentriert und mit großer Ernsthaftigkeit über den kosmisch-spirituellen Überbau ihres aktuellen Albums „Humanhood“ philosophierte, passt sich die Band in Köln den Umständen an. Während The Weather Station ihre Art-Pop-Lieder zu Beginn des Jahres noch im Stile einer Jazz-Band interpretiert hatten, erinnern sie sich nun offensichtlich daran, dass sie auch eine Vergangenheit im gar nicht immer so zartbesaiteten Indie-Folk haben.
Auch Lindemans Ansagen fallen eher kurz aus, abgesehen von einem Mini-Monolog am Ende („Danke, dass ihr hier seid und nicht zu Hause mit ChatGPT redet!“) und ihren Erinnerungen an ihre erste Begegnung mit der Musik von Destroyer im Alter von 19 Jahren: „Jemand hat einen Song von Destroyer auf eine Mix-CD gebrannt, und ich dachte nur: WAS IST DAS? Das haut mich um! Da waren all diese Worte, die über diese verrückte Musik flossen, und ich fand es großartig!“
Im Berliner Silent Green war es im vergangenen Februar bisweilen so andächtig still, dass man die sprichwörtliche Stecknadel hätte fallen hören können, dagegen verlangen das Rock-Club-Ambiente des Luxors, die dialogbedürftigen Destroyer-Fans an der Bar und der allgemeine Samstagabend-Vibe nun, dass The Weather Station ihre Songs mit spürbar mehr Dringlichkeit und Nachdruck attackieren, obwohl – wenngleich in veränderter Reihenfolge – praktisch die gleichen Lieder auf der Setlist stehen. Leisetreter-Nummern wie „Ribbon“ oder „Sewing“ finden nun en bloc in der Mitte ihren Platz, auch wenn Lindemans augenzwinkernder Versuch, sich bei den dauerquasselnden Gästen in den hinteren Reihen die „Erlaubnis“ für einige ruhige Songs zu holen, erst einmal scheitert.
Im letzten Drittel des 70-minütigen Konzerts steigern The Weather Station und ihre augenscheinlich hochschwangere Frontfrau dann praktisch von Lied zu Lied die Intensität, wenn sie sich vom unwiderstehlichen Groove bei „Robber“ bis zur Indierock-Rasanz von „Thirty“ vorarbeiten und trotzdem immer wieder Platz für das Saxofon von Karen Ng bleibt, die auch schon zuvor bei vielen Songs für die besondere Note gesorgt hatte. „Thirty“ ist übrigens der einzige Song des Sets, der nicht aus den letzten beiden Alben „Ignorance“ und „Humanhood“ stammt, doch vielleicht gerade deshalb sorgt seine Rastlosigkeit bei der Zugabe für die perfekte Überleitung zu Destroyer.
Zugegeben, die letzten Platten von Oberkauz Dan Bejar und den Seinen konnten nicht immer ganz an die vor rund einem Jahrzehnt veröffentlichten Destroyer-Meilensteine „Kaputt“ und „Poison Street“ heranreichen, live, das beweisen die Kanadier aber auch nach inzwischen 30 Karrierejahren eindrucksvoll, sind sie immer noch eine Wucht. Das darf man durchaus wörtlich nehmen, denn vielen Zuschauerinnen und Zuschauern dürfte bereits nach wenigen Songs eine Frage nicht mehr aus dem Kopf gegangen sein: „Waren die eigentlich immer so laut?“
Nie brachial, aber mit beeindruckender Power stürzt sich das bisweilen herrlich eigensinnige, aber stets spielfreudige Sextett in seine Songs – mit Ausnahme des wie immer ein wenig desinteressiert schienenden Frontmanns Bejar natürlich, der abgestützt auf seinen hüfthohen Mikroständer in der Bühnenmitte mit stoischer Ruhe dem Sturm entgegentritt, den seine Band um ihn herum entfacht.
Ganz egal, ob es Songs aus der aktuellen LP „Dan’s Boogie“ sind („The Same Thing As Nothing At All“, „Hydroplaning Off The Edge Of The World”), 20 Jahre zurückreichende Großtaten aus dem „Rubies“-Album („European Oils“) oder stilistische Ausreißer wie das New-Order-Flair von „Tinseltown Is Swimming In Blood“ (aus dem 2017er-Werk „Ken“) – die Energie wird den ganzen Abend über hochgehalten.
Dennoch ist das Programm erfreulich facettenreich, wenn bei „Times Square“ Bejars Liebe zu Glam-Rock-Lichtgestalten wie David Bowie oder Bryan Ferry deutlicher denn je zutage tritt, „Cataract Time“ fast als Pop-Song durchgeht oder „Suicide Demo For Kara Walker“ durch ein achtminütiges (!) Pedal-Board-Inferno von Trompeter JP Carter eingeleitet wird, der neben dem mit manischer Energie auftrumpfenden Drummer Joshua Wells der vielleicht auffälligste Musiker auf der Bühne ist.
Mehr als anderthalb Stunden sind vergangen, als nach dem letzten Klanggewitter bei der Zugabe „Rubies“ das Licht im Saal angeht und zweifelsohne feststeht: Destroyer haben in Köln ihrem Namen alle Ehre gemacht.
















