Platte der Woche KW 24/2025
Ohne dass das bislang hierzulande einen größeren Eindruck hinterlassen hätte, hat sich die aus Seattle stammende Songwriterin & Autorin Natalie Lew unter ihrem Moniker Sea Lemon seit der Veröffentlichung ihrer ersten Cassetten-EP im Jahre 2022, der EP „Stop At Nothing“ und einer Reihe von Singles zur maßgeblichen Northwestcoast-Dreampop-Queen entwickelt. Jedenfalls gibt es – besonders in den USA – zurzeit niemanden, der das Format so souverän, vielseitig und konsequent mit Leben erfüllt, wie das Sea Lemon tut. Kein Wunder also, dass ihr nun endlich vorliegendes Debüt-Album „Diving For A Prize“ klingt wie eine ultimative Dreampop-Blaupause. Tatsächlich finden sich auf diesem Album – auf dem auch einige der zuvor angesprochenen Singles befinden, wie etwa das mit Ben Gibbard von Death Cab For Cutie als Gesangspartner ausgeführte Duett „Crystals“) – so ziemlich alle denkbaren Facetten des Dreampop-Formats.
Referenzen gibt es da viele: So finden sich etwa die ätherische Leichtigkeit der Cocteau Twins ebenso wie die Folkseligkeit von Mazzy Star, New Wave Pop à la The Cure, der Shoegaze Wall-Of-Sound von Slowdive, der Rock-Drive von Lush, der Jangle Pop der Sundays aber auch druckvolle Psychedelia à la Tess Parks in dem Soundmix wieder. Dass das fast alles keine amerikanischen Acts sind, tut nichts zur Sache – da der Dreampop eh keine amerikanische Erfindung ist. Eingespielt wurde das Ganze im Heimstudio von Natalies musikalischen Partner, dem Produzenten Andy Park, der u.a. auch für Death Cab For Cutie gearbeitet hat, der für jeden Song mit seinem Effektpanoptikum – wie Natalie es ausdrücken würde – ein „eigenes Klang-Universum“ erschuf. Das erklärt dann den für ein solches Projekt ziemlich eklektischen Stilmix. Da Natalie als Musikerin selbst erst über die Produktion mit Programmen wie Logic zu ihrem Metier gefunden hat, lag es dann nahe, dass dieses Prinzip dann auch im Studio zur Anwendung kam.
Als Songwriterin lässt Natalie Lew keine Möglichkeit aus, den Songs eine poppige Leichtigkeit („Stay“) oder eine druckvolle Auflösung zuvor aufgebauter Spannungen („Give In“) angedeihen zu lassen – inklusive ausholender Melodiebögen, catchy Refrains und Powerchords – was für ein Genre, in dem es nicht zuletzt um ätherische Schwebezustände als um Pop geht, eher ungewöhnlich ist – hier aber bestens funktioniert. Dass das Ganze klanglich dann nicht auseinanderfällt, liegt natürlich an Natalies mädchenhaften, zuweilen täuschend süßlichem Gesang, der in einem interessanten Kontrast zu den düsteren Untertönen, die in den Lyrics zum Ausdruck gebracht werden, steht. Nicht umsonst hat sich Natalie Lew dabei das Dreampop-Genre ausgesucht, denn in den oft mit Bildern aus der Wasserwelt durchsetzten Metaphern angereicherten Texten geht es um das Verschwimmen von Realität und Traumbildern und darum, dass nicht alles ist, wie es scheint. Manchmal – so suggeriert es ja auch der Titel des Albums – muss man etwas tiefer tauchen, um etwas Wertvolles finden zu können.
„Diving For A Prize“ von Sea Lemon erscheint auf Luminelle.