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Night Moves wollen sich auf „Double Life“ nicht festlegen. Auf dem neuen, inzwischen vierten Album der Amerikaner ist zwischen kernigem Indie-Pop, samtigem Blue-Eyed-Soul, dezentem Country-Twang und verwaschener Psychedelia alles erlaubt, was sich zusammen mit einem Faible für 80er-Jahre-Soundästhetik dazu eignet, sechs Jahre nach der letzten LP den Blick zurück nach vorn zu wagen. Tatsächlich war das Album für Mastermind John Pelant und die Seinen ein echter Kraftakt, doch auch wenn es in den Texten oft um den alltäglichen Kampf geht, den Kopf über Wasser zu halten: Musikalisch kann man den oft wunderbar einschmeichelnden Songs voller Nostalgie und Retro-Vibes die Geburtswehen nicht anhören.
Mit einem Händchen für detailverliebte 70s-Produktionen zeigen Night Moves nun schon seit mehr als 15 Jahren mit melodisch überbordenden Songs immer wieder brillant auf, wie man die Retro-Vibes von Soft-Rock oder Yacht-Pop auch in der Gegenwart in hell schimmernde Pop-Juwelen verwandeln kann. Für die neue Platte verschieben Sänger/Gitarrist John Pelant, Bassist Micky Alfano, Drummer Mark Hanson und Gitarrist Charles Murlowski nun den Fokus ein Stück weit.
„‚Double Life‘ ist das offenste und zugleich impressionistischste Album von Night Moves“, lässt uns das Label der Band wissen. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass sich für John Pelant die Prioritäten beim Musikmachen seit seinen ersten Gehversuchen gewandelt haben. „Als ich jünger war, habe ich einfach angefangen, Musik zu machen, weil ich dachte, dass es etwas Cooles ist“, gesteht er im Gespräch mit Gaesteliste.de. „Ich glaube, wenn man älter wird, merkt man, dass sich die Bedeutung ein wenig ändert und mehr Gewicht bekommt. Das Musikmachen ist nun auch so etwas wie mein Job, aber gleichzeitig ist es immer noch meine Leidenschaft. Es klingt komisch, das laut auszusprechen, aber ich meine das ernst. Musik ist etwas, das in meinem Leben sehr viel Bedeutung hat.“
Gerade weil Pelant das Musikmachen eher als Leidenschaft denn als Job betrachtet, sind viel Blut, Schweiß und Tränen in das neue Album geflossen. Dass am Ende mehr als ein halbes Jahrzehnt seit dem letzten Werk ins Land gezogen sind, war natürlich nicht geplant. Erst warf die Pandemie der Band Knüppel zwischen die Beine, es folgten kreative Sinnkrisen und private Komplikationen. Auch gleich zwei gescheiterte Versuche, die Platte mit renommierten Produzenten aufzunehmen, sind der Grund dafür, dass wir auf „Double Life“ so lange warten mussten.
Doch woran ist die Zusammenarbeit mit den Wunschproduzenten eigentlich letztlich gescheitert? „Mit einem der Typen hatten wir ein Meeting in L.A.“, erinnert sich Pelant. „Das war nur ein grober 30-minütiger Überblick, aber er konnte nicht einen der Titel unserer Demos nennen. Das Meeting lief gut, aber ich konnte ihn schwer einschätzen. Später am Abend gab es eine Grammy Party, zu der wir und auch er eingeladen waren. Ich bin dort auf ihn zugegangen, um mit ihm über das Studio zu sprechen, in dem die Aufnahmen stattfinden sollten, und um rauszukriegen, ob er der Richtige für die Aufgabe ist, denn bei dem Meeting zuvor hatte keinerlei Austausch von Ideen stattgefunden, das war total doof. Ich wollte einfach rausfinden, ob der Typ gut zu uns passen würde, also habe ich ihn auf den Schlagzeugsound angesprochen, denn während ich in Tontechnik allgemein ganz fit bin – Schlagzeug richtig aufzunehmen ist eine Kunst für sich. Er hat sich dann fürchterlich aufgeregt und mir an den Kopf geworfen: ‚Ich mache ganz tolle Sachen, und du kommst hier mit Fragen zum Snare-Klang an?‘ Er war beleidigt, weil ich ihm Fragen gestellt habe! Da schrillten bei mir natürlich die Alarmglocken, auch wenn ich im ersten Moment einfach baff war ob dieser Reaktion. Das hat also schon mal nicht funktioniert!“
Auch der zweite Versuch lief im Anschuss nicht wie gewünscht, erinnert sich Pelant: „Beim nächsten Typen war eigentlich alles prima und wir hatten ein gutes Arbeitsverhältnis. Aber so gut es auch war – er wollte ständig die komplette Struktur unserer Songs neu organisieren, so im Sinne von: ‚Keine Bridge hier und der Refrain kommt da hin!‘ Das war ein Paradebeispiel für modernes Songwriting. Er hat mit seinem Tontechniker einfach per Copy and Paste Songteile in ProTools verschoben. Am Ende wusste ich beim Playback noch nicht einmal mehr, an welcher Stelle im Song wir gerade waren, und ich dachte nur: Was passiert hier gerade? Drei Stunden später fragte ich ihn dann: ‚Ist das, was wir mitgebracht haben, überhaupt gut? Schließlich hast du gerade alles zerstückelt!‘ Seine Vorschläge haben durchaus Sinn ergeben, aber trotzdem hatten wir nie den Plan, so vorzugehen. Letztlich suchte ich vor allem nach einem Produzenten, der das Schlagzeug toll klingen lässt und der die Klangfarben leuchten lässt, die ich eingebracht habe, aber nicht nach einem, der meine komplette Arbeit der letzten drei Jahre plattwalzt! Ich kann mir allerdings durchaus vorstellen, in Zukunft mal mit ihm zusammenzuarbeiten und dann wirklich von Grund auf alles gemeinsam zu erarbeiten, aber wenn ich mit der Blaupause eines Songs ankomme, bei dem Struktur, Klangfarbe und Beat schon feststehen, brauche ich niemanden, der noch einmal alles umwirft.“ Am Ende nahmen die Amerikaner ihr Schicksal selbst in die Hand und produzierten das Album mit Unterstützung von Jarvis Taveniere (Woods, Waxahatchee, David Berman) in Eigenregie.
Das lange Warten auf das neue Album machte es allerdings auch nötig, dass sich Pelant einen Job zum Geldverdienen suchen musste. Das neue Album von Night Moves nahm Gestalt an, während er tagsüber Weine und Spirituosen als Lieferfahrer durch die Stadt kutschierte. „Das hat den ganzen Prozess geprägt“, gesteht er. „Am Ende des Arbeitstages war ich zumeist so müde, dass ans Songwriting nicht mehr zu denken war. Ich glaube, in der Zeit sind nur zwei Songs entstanden, die es auf die neue Platte geschafft haben. Gleichzeitig hat mir die Arbeit aber unglaublich viel Zeit gegeben, um nachzudenken und mir die Demos anzuhören, die ich gemacht hatte. Mir war klar, dass ich zu dem Punkt zurückkehren musste, an dem ich mich dem Schreibprozess vollends widmen konnte. Das Ganze hat mir geholfen, eine neue Perspektive für das Album zu bekommen.“
Klanglich ließ sich Pelant von Singer/Songwriter-Größen wie Glen Campbell, Bobby Caldwell oder Gram Parsons beeinflussen, aber auch Früh-90er-Country und die britische 80er-Jahre-Kultband Cleaners From Venus hinterließen großen Eindruck. Mehr als ein Anstoß lieferten sie trotzdem nicht, denn auf „Double Life“ gehen diese Inspirationen vollends im Sound von Night Moves auf, mit dem die Band den Geist der Vergangenheit für das Hier und Jetzt greifbar macht. Eine eindeutige Erklärung, warum ihn die Musik der 60er, 70er und 80er mehr packt als moderne Produktionen, hat Pelant allerdings nicht: „Als ich jünger war, dachte ich: ‚Das ist doch blöd, sich die Musik von alten Leuten anzuhören‘, aber inzwischen muss ich sagen: Alte Musik klingt einfach cooler.“
In seinen Texten, die er als „Malen mit Emotionen“ beschreibt, war Pelant bisweilen so unumwunden ehrlich, dass er mit seinen düsteren Gedanken fast die Beziehung zu seiner Partnerin gefährdet hätte. „Ich habe alle bisherigen Platten zu Hause geschrieben, im Keller oder in meinem Arbeitszimmer, aber dieses Mal war sie wirklich aufgebracht“, erinnert er sich. „Sie konnte alles hören, was ich machte und sagte, und sie hat angefangen, viel zu viel in die Texte hineinzuinterpretieren. Das wiederum ging mir auf die Nerven, und ich sagte ihr: ‚Ich kann hier nicht arbeiten, wenn du kritisierst, was ich zu tun versuche, wenn ich noch nicht einmal weiß, was ich hier eigentlich mache.‘ Das ist jetzt drei Jahre her. Inzwischen sind wir glücklich verheiratet, aber zunächst einmal hatten wir harte Zeiten durchzustehen und eine Menge ernster Gespräche zu führen, und ich denke, die neue Platte reflektiert das.“ Tatsächlich dreht sich in den Liedern auf „Double Life“ vieles um die Suche nach dem nächsten Silberstreif, gleichzeitig sind sie aber auch davon inspiriert, mehr Verantwortung für das eigene Leben übernehmen zu wollen und den lange verschobenen letzten Schritt ins Erwachsensein zu tun.
Um die Songs in Ruhe fertigzustellen, zog sich Pelant in seinen Proberaum zurück, wo er versuchte, das Schreiben eher mit einer Arbeitermentalität anzugehen, anstatt einfach nur herumzusitzen und auf den goldenen Geistesblitz zu warten. Ein idealer Ort, um kreativ zu sein, war auch das nicht, denn dort kam zu einer trostlosen industriellen Umgebung auch noch ein Nachbar, der Drogen vertickte, sich ständig mit der Mutter seiner Kinder stritt und zu allem Überfluss auch noch den Korridor zur Toilette umfunktionierte. „Die Wände hier sind dünn wie Papier, man hört also alles, was vor sich geht“, verrät Pelant. „Das war wie ein chaotischer Dschungel, das war eine ziemlich düstere Szenerie, ganz abgesehen davon, dass mir meine Situation zu Hause natürlich ständig durch den Kopf ging.“
Bleibt zum Schluss die Frage, welche Wünsche und Hoffnungen Pelant mit „Double Life“ verbindet. „Zunächst einmal hoffe ich natürlich, dass die Leute das Album mögen, dass es bei ihnen ankommt und sie es verstehen. Gleichzeitig wünsche ich mir, dass wir damit ein größeres Publikum erreichen. Es wäre schön, wenn die Band einen Schritt weiterkäme. Im Moment bin ich der Einzige in der Band, der davon leben kann, alle anderen haben reguläre Vollzeitjobs. Wir träumen davon, an den Punkt zu kommen, dass Night Moves für unser aller Auskommen sorgt. Das ist auf jeden Fall der Traum. Aber erst einmal soll das Album den Leuten gefallen, sie berühren und sie für den Rest ihres Lebens begleiten.“
„Double Life“ von Night Moves erscheint auf Domino/Good To Go.