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„Socialising To Meet The Expectations“, „How Much I Wanted You“, „Thought I Was Your Best Friend“ und „Distracted By You“ – die Titel der vier Songs des selbstbetitelten EP-Erstllings von Bedroom June verraten bereits, dass das Musikmachen für Aylin Sengül, die Künstlerin hinter dem Projektnamen, etwas sehr Persönliches, ja, Intimes ist. Auf ihrer EP legt die Hamburger Musikerin im Dunstkreis von elektronisch umspültem Schlafzimmer-Pop, verwaschenen Shoegaze-Sounds und klassischem Indie-Rock ihre Wunden offen, gibt mit ihrer emotionalen Selbstbespiegelung gleichzeitig aber auch ihrem Publikum die Gelegenheit, sich mit oft verdrängten Gefühlen auseinanderzusetzen. Am 04.10.2025 präsentiert sie die EP bei einem ganz besonderen Release-Konzert in der Hamburger Hanseplatte – mit Band und Special Guest.
„Musik war immer sehr wichtig für mich, auch schon früher zu Hause“, erinnert sich Bedroom-June-Mastermind Aylin Sengül beim Gespräch mit Gaesteliste.de. „Meine Eltern spielen selbst kein Instrument, aber ich würde sie trotzdem als sehr musikbegeistert bezeichnen. Da ging es nicht um Subkulturen oder so etwas, sondern eher um das Gefühl, das durch Musik transportiert wird. Meine Eltern sind mit ihren Eltern als Gastarbeiter*innen aus der Türkei nach Deutschland gekommen und Musik war da etwas, was ein Stück Verbundenheit geschaffen hat.“
Ihre Eltern waren es auch, die Aylin schon in jungen Jahren an die Musik heranführten und früh ihr Talent förderten, allerdings erreichte sie schon bald den Punkt, an dem sie nicht nur der musikalischen Früherziehung, sondern auch der türkischen Musik, die ihre Eltern am liebsten hörten, entwachsen war. „Ich war selbst eher im Pop unterwegs und bin dann auch schnell an Gitarrenmusik gestoßen“, erinnert sie sich. „Das hat dann in mir den Wunsch erweckt, in einer Band zu spielen, und mit 14 habe ich dann auch angefangen, eigene Songs zu schreiben.“
Inzwischen ist das Songschreiben, das Musikmachen ein fester Bestandteil ihres Lebens und prägt auch ihr soziales Umfeld. „Die Musik ist für mich wie ein treuer Begleiter“, sagt sie. „Ich habe das Musikmachen und gerade auch das Songschreiben immer als Raum wahrgenommen, mit dem sonst niemand interagieren kann. Das war immer etwas sehr Persönliches für mich, speziell im Moment des Songschreibens.“
Als Sängerin und Gitarristin des Hamburger Psych-Pop-Quartetts Deep Dyed hatte sie in der Vergangenheit erstmals Gelegenheit, jenseits von Schulbands mit anderen gemeinsam auf der Bühne zu stehen. Mit der Zeit schrieb sie jedoch immer mehr Songs, die nicht so recht zur Band passten, aber dennoch zum Leben erweckt werden wollten. Das machte vor zwei Jahren den Weg frei für die ersten Solo-Veröffentlichungen als Bedroom June.
Dennoch war die Zeit mit Deep Dyed sehr wertvoll für Aylin – und das nicht nur in puncto Selbstvertrauen. „Ich habe dort gelernt, wie eine Band überhaupt funktioniert oder wie man die Musik auf die Bühne bringt“, sagt sie. „Dann ist da auch noch das ganze Drumherum, was irgendwie dazugehört. Alles Sachen, die man sonst vielleicht aus zweiter Hand erfährt, aber nie selbst erlebt hat. Man weiß ein bisschen besser, was alles auf einen zukommt und was man zu planen und bedenken hat. Ich glaube, ich kann das alles jetzt ein wenig besser abschätzen, als wenn ich mich blind in diese Szene begeben hätte. Ich habe auf dem Weg mit der Band auch viele Menschen kennengelernt, die musikinteressiert sind oder selbst in Bands spielen. Da hat man sich schon ein Netzwerk aufgebaut.“
Trotzdem ist Aylin aber auch realistisch und weiß, dass in den Zeiten von Streaming und Clubsterben eine echte Karriere in der Indie-Welt einem Lottogewinn gleichkommt. Deshalb ist sie froh, noch einen Day Job zu haben, der ihr finanzielle Unabhängigkeit garantiert und sie davor bewahrt, sich mit der Musik von Bedroom June verbiegen oder verkaufen zu müssen: „Dadurch, dass ich nicht so stark in einer finanziellen Abhängigkeit bin, kann ich mich mehr auf das konzentrieren, was mir wirklich Spaß macht, auf das, was ich wirklich machen möchte, ohne Druck zu spüren. Ich glaube, das sorgt für eine gewisse Freiheit.“
Im Pressetext heißt es, dass es Aylin ein Anliegen war, mit den Songs der „Bedroom June“-EP ihren inneren Monolog in Musik zu übersetzen. Doch stehen die in den Texten transportierten Emotionen tatsächlich immer am Anfang, oder kann das auch mal die Musik sein? „Lustigerweise ist es bei mir so, dass mein innerer Monolog gar nicht aus Worten besteht“, verrät Aylin. „Ich habe keine innere ‘Sprechstimme‘, die ich höre. Ich glaube, mein innerer Monolog ist oft eher ein Gefühl, und ganz oft ist zuerst die Melodie da. Bei den besten Songs, oder bei den Songs, die am authentischsten zum Leben erweckt werden, kommt oft beides zusammen. Da ist dann eine Melodie da, zu der ich schon irgendeinen Text gebrabbelt habe, und dann formt sich daraus der Song. So funktioniert’s meistens bei mir!“
Textlich geht es Aylin nicht zuletzt um Verarbeitung. Doch ist das vordergründige Ziel, sich Dinge von der Seele zu schreiben, oder ist es doch mehr die Suche nach Lösungen, die sich durch die künstlerische Betätigung im Unterbewusstsein formieren? „Ich glaube, dass das Unterbewusstsein, das Unbewusste da auf jeden Fall eine große Rolle spielt“, antwortet Aylin. „Bei ‚Socialising To Meet The Expectations‘ ist mir ganz extrem aufgefallen, dass ich über dieses Thema, über diese Gefühle geschrieben habe, aber beim Schreiben war mir noch gar nicht richtig bewusst, dass es mir so geht. Das kam erst ungefähr einen Monat danach. Ich finde, meistens funktioniert es am besten, wenn ich mir irgendetwas von der Seele schreibe, auch wenn mir das noch gar nicht bewusst ist. Das ist total magisch in dem Moment.“
In ihren Texten fängt Bedroom June das Gefühl eines Lebens im Dazwischen ein, das einerseits von einer gewissen Distanz geprägt ist, andererseits aber auch von dem Wunsch, dazuzugehören, einem Bedürfnis nach Nähe. Damit spiegelt sie Gefühle wider, die viele Menschen heute nur allzu gut kennen. Gleichzeitig ist diese Perspektive aber auch ein Stück weit durch ihren familiären Hintergrund geprägt. „Sich immer ein bisschen alien, ein bisschen anders zu fühlen, hat sicherlich auch mit meinem Background zu tun – vielleicht auch, ohne das bewusst zu verstehen“, sagt sie. „Die Musik war für mich deshalb immer eine Zuflucht, die mir ein Gefühl von Verbundenheit gegeben hat.“
Diese Verbundenheit drückte sich weniger über einen ähnlichen Background als vielmehr über die Musik aus. Eine Künstlerin, die Aylin damals besonders faszinierte, war Bethany Cosentino von der kalifornischen Indierock-Band Best Coast. „Als ich sie gesehen habe, wollte ich auch so auf der Bühne stehen“, erinnert sie sich. „Ich fand ihre ganze Attitude einfach wahnsinnig cool. Das war wie eine Vorbildfunktion. Es gab einfach wenig Frauen mit Gitarre für mich. Sie war dann so ein bisschen die Erste und hat mich auf jeden Fall ganz schön doll geprägt.“
Das war bei den Bedroom-June-Konzerten der letzten Jahre noch deutlicher zu hören als nun auf der EP: Denn während Aylin ihre Songs in der Vergangenheit in klassischer Rock-Band-Besetzung mit zwei Gitarren, Bass und Schlagzeug auf die Bühne gebracht hatte, ist die EP klang spürbar offener für einen modernen Klanganstrich und elektronische Elemente. Der Grund dafür ist denkbar simpel. Hatte Aylin ihre ersten Singles „Wasted Year“, „Clouds“ oder „Fear Of Fear“ noch allein im eigenen Wohnzimmer aufgenommen, arbeitete sie für die EP mit Produzent Jakob Hersch zusammen, dessen Projekt Wohinn sie live auch an Gitarre, Keyboards und Querflöte unterstützt.
„Auch wenn ich solo Musik mache, finde ich es wahnsinnig spannend, mit anderen zusammenzuarbeiten“, sagt sie und fügt hinzu: „Ich hatte einfach Lust, den Songs ein anderes Gewand zu geben und mich weiterzuentwickeln. Ich wollte nicht für immer auf der Lo-Fi-Indie-Schiene bleiben. Gleichzeitig hat sich auch mein Musikgeschmack noch einmal verändert. Ich habe voll viel Hyper-Pop gehört und mich mit A.G. Cook oder Oklou auseinandergesetzt. Deshalb konnte ich mir gut vorstellen, dass das Ganze auch in diese Richtung geht, und mit Jakob zusammen konnte ich das dann auch gut realisieren.“
Einen kleinen Throwback gibt es aber doch auf der EP, denn mit der Querflöte sorgt ein Instrument für Farbtupfer, das in Pop und Indie für gewöhnlich keine große Rolle spielt. „Ich habe mit 14 oder so mal Querflötenunterricht gehabt“, verrät Aylin. „Damals fand ich das eigentlich ganz schön, und dann kam eine Zeit, in der ich das Instrument wahnsinnig uncool fand. In der Corona-Zeit habe ich mir dann aber wieder eine Querflöte gekauft, weil ich bei Wolf Mother oder King Gizzard gesehen habe, dass sie auch ganz anders eingesetzt werden kann. Sie war dann auf einem Track bei Deep Dyed drauf, und weil das total viel Spaß gemacht hat und gut funktioniert hat, habe ich sie für die EP dann mit ins Studio gebracht und gespielt.“
Jetzt wünscht sich Aylin, dass die EP-Veröffentlichung ihr die Chance gibt, öfter auf der Bühne zu stehen und ihre Songs auch live mit dem Publikum zu teilen. Denn auch wenn Bedroom June ein Soloprojekt ist, geht es ihr doch auch um Interaktion – oder wie sie selbst es ausdrückt: „Die Songs sind schon sehr persönlich und es geht sehr viel um Emotionen und innere Welten, aber es ist eine total schöne Vorstellung, dass sie Menschen erreichen, die sich dadurch gesehen fühlen und gerade in diesen Zeiten, die manchmal sehr nachdenklich stimmen, weniger allein fühlen.“
„Bedroom June EP“ von Bedroom June erscheint auf Lazy Angel Records / La Pochette Surprise Records.




