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Auf zu neuen Ufern: Nachdem Thalia Zedek auf ihren letzten Alben „Fighting Season“ (2019) und „Perfect Vision“ (2021) vor allem an den Nuancen gefeilt hatte, signalisiert ihr nun erscheinendes neuntes Album unter eigenem Namen einen echten Reset. Auf „The Boat Outside Your Window“ rückt die in Bands wie Uzi, Live Skull und natürlich Come schon früh zur Legende gewordene Musikerin aus Boston, Massachusetts, die Markenzeichen ihres hochemotionalen (Indie-)Rock-Sounds im Spannungsfeld von Schwere und Melodie in ein neues Licht. Statt Viola und Piano ergänzt nun eine wie nicht von dieser Welt klingende Pedal-Steel-Gitarre das Standard-Instrumentarium mit Gitarre, Bass und Schlagzeug, und auch textlich wirft Zedek nach einer Reihe politisch-kämpferischer Platten dieses Mal einen eher grüblerischen Blick nach innen, um die Komplexität des Lebens zu meistern.
„The Boat Outside Your Window“ ist das Resultat eines Erneuerungsprozesses, der schon mit dem Vorgänger „Perfect Vision“ in Gang gesetzt wurde. Das neue Album ist das erste, seit Thalia Zedek im Jahre 2001 mit dem Album „Been Here And Gone“ begonnen hat, Platten zuerst solo und bald darauf dann im Schoß der Thalia Zedek Band zu veröffentlichen, auf dem sie nicht Viola-Spieler David Michael Curry und Pianist Mel Lederman an ihrer Seite hat. Stattdessen sorgt nun Karen Sarkasian an der Pedal-Steel-Gitarre für völlig neue Klangfarben, nicht zuletzt, weil sie so fantasievoll zu Werke geht, dass das Gespenst des countryesken Traditionalismus keine Chance hat.
In der zum Quartett geschrumpften, durch Bassist Winston Braman (einst bei Fuzzy und Come) und Karate-Drummer Gavin McCarthy komplettierten Band haben die neuen Songs nun viel mehr Raum zum Atmen. Gleichzeitig setzt Zedek auch in puncto Songwriting dieses Mal mehr als je zuvor auf melodiöse Direktheit und bisweilen geradezu ungewohnt eingängigen Dur-Wohlklang und treibt so die vom ersten Ton an unüberhörbare Neuausrichtung auch in dieser Hinsicht voran. Das Band zur Vergangenheit wird dennoch nicht vollends zerschnitten, denn in den mehr als 40 Jahren, in denen Zedek nun schon als unverwüstliche Stimme im US-Untergrund für Furore sorgt, hat die in den letzten Jahren auch an der Seite von Jason Sidney Sanford und Ernie Kim in der Band E aktive Musikerin eine solch starke Identität als Songwriterin, Sängerin und Gitarristin entwickelt, dass die Songs auf „The Boat Outside Your Window“ trotz all der Veränderungen unverkennbar ihre und unverkennbar echt sind.
Gleich nach der Veröffentlichung der neuen LP geht es für Zedek nun auf Tournee. Zunächst stehen im Juni elf Shows in Australien und Neuseeland auf dem Programm, gefolgt von einer US-Tournee an der Ostküste und im Mittleren Westen, und zu guter Letzt wird es im Oktober dann auch Konzerte in Europa geben. Zuvor allerdings widmete sich die 63-jährige Musikerin sich den Fragen von Gaesteliste.de.
GL.de: Thalia, um vielleicht schrägste Frage gleich am Anfang aus dem Weg zu räumen: Dein neues Album erscheint nur wenige Wochen nach der aktuellen LP deines langjährigen Come-Mistreiters Chris Brokaw. Beide haben ein „Boat“ bzw. „Ship“ im Titel, und auch die Covergestaltung ist verblüffend ähnlich. Zufall? Unvermeidlich, ob all der gemeinsamen Erfahrungen? Oder vielleicht sogar cleveres Cross-Marketing?
Thalia Zedek: Das ist wirklich seltsam, oder? Es ist auf jeden Fall kein Cross-Marketing. Keiner von uns hatte eine Ahnung, was der andere macht. Ich habe das Cover von Chris‘ neuer Platte erst gesehen, als er ein „Unboxing-Video“ gepostet hat, woraufhin ich ihm ein PDF des Covers meines neuen Albums geschickt habe, das bereits in Produktion war. Ich glaube, wir waren beide ziemlich geschockt.
GL.de: Auch wenn es nun schon etwas zurückliegt: Das neue Album ist dein erstes Album als Thalia Zedek (Band), auf dem weder David Michael Curry noch Mel Lederman auftauchen…
Thalia Zedek: Mel und Dave sind beide aus unterschiedlichen Gründen und zu unterschiedlichen Zeiten ausgestiegen, und wir sind immer noch freundschaftlich miteinander verbunden. Ich habe sowohl mit Dave als auch mit Mel (vor allem mit Dave) viele Jahre lang gespielt, aber als wir „The Boat Outside Your Window“ aufnahmen, waren beide schon seit drei oder vier Jahren nicht mehr in der Band, also lag es nahe, mit der Band aufzunehmen, die ich an meiner Seite hatte, als ich die neuen Songs schrieb. Mel verließ die Band, nachdem die „Fighting Season“-Tournee war, aber ich lud ihn ein, bei ein paar Stücken auf „Perfect Vision“ mitzuspielen. Dave verließ die Band direkt nach der Fertigstellung von „Perfect Vision“, aber er zog sich schon während der Aufnahmen zurück. Es war die Zeit der Pandemie und eine sehr seltsame und verstörende Zeit für alle. Ich war sehr stolz auf die Arbeit, die wir gemeinsam geleistet hatten, aber ich war auch bereit für einen Neuanfang.
GL.de: Du hättest Nachfolger für Viola und Klavier suchen können, stattdessen ist nun die Pedal-Steel-Gitarristin Karen Sarkisian in der Band. Wie kam es dazu?
Thalia Zedek: Ich trennte mich 2020 vor den Aufnahmen zu „Perfect Vision“ von Mel, und Dave verließ die Band direkt nach den Aufnahmen, noch bevor die Platte herauskam. Karen spielte auf dem Album einen fantastischen Pedal-Steel-Part bei „Cranes“ und ich bat sie, uns bei der Release-Show für diesen Song zu begleiten. Es lief so gut, dass ich sie einlud, bei allen unseren lokalen Shows zu spielen, und sie bot mir an, auch bei anderen Stücken mitzuspielen. Es wurde schnell klar, dass die Pedal Steel genau in den Klangraum passte, in dem früher die Bratsche und das Klavier zu Hause waren. Es war perfekt für die Band, und Karen war begeistert, die Pedal Steel auch außerhalb des Country-Musikgenres einzusetzen und mit verschiedenen Klangfarben ihres Instruments zu experimentieren.
GL.de: Die Beschränkung auf die Quartettbesetzung führt dazu, dass der Sound nun bisweilen weniger dicht ist. Mit deiner anderen Band E hast du in den letzten Jahren explizit den negativen Raum ausgelotet. War das der Auslöser, das nun auch bei der TZB wieder stärker zu beherzigen?
Thalia Zedek: Negativer Raum ist etwas, das mir schon immer gefallen hat, und die TZ Band war in den ersten sieben Jahren bei den Live-Konzerten ein Trio mit Viola, Gitarre und Schlagzeug, das nur im Studio durch ein Klavier ergänzt wurde. Als ich die Songs für unser viertes Album, „Liars and Prayers“, schrieb, wollte ich ein weiteres Instrument, das den Bassbereich abdeckt, damit ich mehr Verantwortung für die Gitarre übernehmen konnte. Ich bat Winston, der auf dem letzten Come-Album mitgespielt hatte und auch einer meiner Lieblingsbassisten ist, zu einer Probe zu kommen, um zu sehen, wie es klingen würde, und zu meiner Freude ging er nie wieder weg! Zufälligerweise löste sich genau dann, als Winston zu uns stieß, Mels alte Band Victory At Sea auf. Mel hatte bei allen drei vorangegangenen Platten im Studio Klavier gespielt und wollte nun, da er Zeit hatte, in Vollzeit einsteigen, so dass wir sehr schnell von einer dreiköpfigen zu einer fünfköpfigen Band wurden. Jetzt aber fühlt es sich gut an, dass wir zu viert etwas mehr Platz haben. Leichter und schlanker!
GL.de: Die Pedal Steel sorgt für einen dezent anderen Vibe. War das ein Hintergedanke, dass ein neues Instrument den Sound auf natürliche und organische Weise in eine neue Richtung bugsiert, was ja ansonsten mit der gleichen Besetzung nach 25 Jahren durchaus eine Herausforderung gewesen wäre?
Thalia Zedek: Ehrlich gesagt hätte ich mir nie vorstellen können, Pedal Steel bei der Thalia Zedek Band einzusetzen, abgesehen von dem einen Song, „Cranes“, auf „Perfect Vision“. Aber die Klänge, die Karen ihrem Instrument entlockt, und die Art, wie sie spielt, waren für mich einfach perfekt. Ihre Parts haben ausgezeichnet funktioniert, um Stimmungen zu erzeugen und mir die harmonische Unterstützung zu geben, damit ich mich in puncto Gitarre und Gesang ausbreiten konnte.
GL.de: Was sind für dich die größten klanglichen Veränderungen mit der neuen Besetzung und dem neuen Album?
Thalia Zedek: Die Pedal Steel ist natürlich neu, außerdem sind die Songs in Tempo und Tonart ein wenig peppiger geworden. Es gibt viel mehr Songs in Dur. Ich glaube, „Aliyah“ und „Dissolve“ sind die einzigen Songs, die wirklich in Moll sind, was für mich ungewöhnlich ist.
Gl.de: Auf Platten wie „Fighting Season“ und bei deiner Arbeit mit E hast du dich explizit mit der politischen Lage in den USA auseinandergesetzt. Obwohl wir uns jetzt in einer weiteren „Fighting Season“ befinden, ist das neue Album textlich viel stärker nach innen gerichtet.
Thalia Zedek: Es gibt definitiv einige politische Songs auf dieser Platte, aber du hast recht, sie ist persönlicher und nach innen gerichtet. Das ist einfach das, was mir durch den Kopf ging. Die Songs wurden vor der Wahl fertiggestellt und wurden direkt danach aufgenommen, bevor Trump offiziell im Amt war. Heute ist die Welt eine ganz andere. Die USA gleiten in eine Autokratie ab, und es ist nicht klar, ob wir in der Lage sein werden, das aufzuhalten. Die „Regierung“, wie wir sie kannten, wurde im Grunde von der derzeitigen Regierung entlassen und durch Trumps Speichellecker ersetzt. Es sind dunkle Zeiten in den USA, und man kann den Stress jeden Tag spüren.
GL.de: Welche Rolle spielt die Musik dabei?
Thalia Zedek: Musik ist wie immer und wie alle Kunst sowohl ein Zufluchtsort als auch ein Ort, an dem man seine Ablehnung ausdrücken kann.
GL.de: Zum Schluss: Was ist für dich nach all den Jahren der aufregendste Teil des Musikmachens?
Thalia Zedek: Für mich geht nichts über den Nervenkitzel eines Live-Auftritts, wenn sowohl innerhalb der Band als auch mit dem Publikum alles zusammenpasst.
„The Boat Outside Your Window“ von der Thalia Zedek Band erscheint auf Thrill Jockey/Rough Trade.