Platte der Woche KW 22/2025
Es gibt zurzeit wohl kaum einen anderen Songwriter, der Desolation, Trostlosigkeit, emotionale Leere – zumindest aber Stoizismus – auf so elegante, einnehmende und poetische Weise musikalisch einfangen kann wie Matt Berninger von The National. Jedenfalls erweckt er diesen Eindruck selbst dann, wenn es in seinen Songs gar nicht so desolat und öde zugeht, wie das sein zum Trademark gewordener Murmelgesang (der viel mit der Niedergeschlagenheit seines Vortrages zu tun hat) vermuten lässt.
Als Sänger von The National und auch mit seinem Side-Projekt El Vy hat er dabei die Gelegenheit, seinen Weg am Rande des Abgrundes in einem teils monumentalen, teils rockigen und teils dramatischen Umfeld ausleben zu können. Deswegen kann es auch auf seinem zweiten Solo-Alben nicht darum gehen, das noch mal toppen zu wollen. Des trefflich betitelte “Get Sunk” geht deshalb eher in die Breite, als dass etwa neue kreative Gipfel erklommen werden wollten.
Nachdem Berninger in der Pandemie von einer Schreibblockade und einer Phase des Selbstzweifels ausgebremst worden war, setzte er für sein zweites Solo-Album dabei auf einen kollaborativen Charakter und umgab sich mit einer Reihe von Freunden und Gästen (darunter Meg Duffy von U.S. Girls, Booker T. Jones, Harrison Whitford oder Paul Maroon von The Walkmen), die ihn und Produzent Sean O’Brien mit ihren Gastbeiträgen – auch als Gesangs- und Duettpartner – ergänzen und wohl auch inspirieren sollten. Denn auch wenn das ein bisschen spät im Verlauf von Berningers andauernder Karriere ist, legte er “Get Sunk” als Selbstfindungsalbum an, um wieder zu sich selbst – und seinen Platz in der Welt – finden zu können, wobei ihm die nicht so überraschende Erkenntnis kam, dass dies wohl am besten in der Gemeinschaft seiner Mitmenschen möglich sei.
Bis Berninger zu dieser Erkenntnis gelangt, muss natürlich viel gegrübelt, getrauert, ge- und verzweifelt, das Schicksal angeklagt und das Selbstmitleid beflügelt werden. Kurzum: Trotz des eigentlich versöhnlichen Resümees und des dann fast schon als Jubel-Gospel inszenierten Schlusstracks “Times Of Difficulty” ist “Get Sunk” nicht wirklich lustig geworden (also vielleicht mit Ausnahme der amüsanten, mit irrwitzigen Details gespickten Charakterstudie “Bonnet Of Pins”, das musikalisch am ehesten an den Breitwandsound von The National heranreicht). Aber aufgrund der Tatsache, dass Berninger und seine Mitstreiter hier viele ansprechende und teils überraschende musikalische Ideen vor dem Ohr des Hörers ausbreiten, die vielleicht in dem Talkin‘-Blues-Dubstep-Track “Nowhere Special” am erstaunlichsten kumulieren, fällt die Melancholie des Meisters dann gar nicht so sehr ins Gewicht. Rein musikalisch ist das jedenfalls eines der vielseitigsten Werke mit dem inzwischen klassischen Berniger-Touch überhaupt geworden, enthält einige wirklich gute Songs und ist unter dem Strich immens unterhaltsam.
„Get Sunk“ von Matt Berninger erscheint auf Book/Concord/Universal.