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Pop-Appeal meets Understatement
Horsegirl mögen es am liebsten schnörkellos. Es gibt keine große Inszenierung, keine Effekthascherei, denn lieber zelebriert das Trio mit Wurzeln in Chicago sein blindes Verständnis und seine Freundschaft mit viel klanglichem Understatement und einer betont zurückhaltenden Bühnenpräsenz, bis man am Ende des kurzen Sets im sehr gut gefüllten Hamburger Molotow das Gefühl hat: Die Zukunft des DIY-Indie-Pop ist bei Horsegirl in guten Händen.
Den Anfang machen Euroboy. Mastermind Doortje Hiddema (Eingeweihten vielleicht von Sacrificial Chanting Mood und Rafts On Rats ein Begriff) ist in Rotterdam zu Hause, und fast hätten wir gesagt: Das kann man auch hören. Für die Tour hat sie ihr Soloprojekt durch drei Herren an Akustikgitarre, Bass und Schlagzeug ergänzt, um sich zwischen Minimalismus und Monotonie klanglich auf dem gleichen Terrain wie unsere Rotterdamer Lieblingsband Lewsberg zu tummeln. Zufall ist das nicht, denn Michiel Klein, Gitarrist eben jener Lewsberg, hat das Debütalbum von Euroboy mit dem herrlich nichtssagenden Titel „abcde“ abgemischt und begleitet die Band auch auf Tour.
Auch wenn hier und da die Grenzen zwischen brillanter Reduktion und couragiertem Dilettantismus fließend sind: Wenn Euroboy einmal ihren Groove gefunden haben, kann ihr ein wenig aus der Zeit gefallener Lo-Fi-Sound, der mal scharfkantig, schrill und dissonant auf den Schultern von The Velvet Underground und deren Epigonen steht, mal in seiner Lieblichkeit an die Größen des Twee-Pop der 90er erinnert, mit seiner kribbeligen Nervosität richtig gut gefallen. Das scheinen auch Horsegirl so zu sehen, die es sich nicht nehmen lassen, den Euroboy-Auftritt aus dem Backstage heraus bzw. sogar gleich mitten im Publikum ganz nah an der Bühne zu verfolgen.
Horsegirl bringen danach das Kunststück fertig, in ihren Songs keinen Ton zu verschwenden und trotz eines bisweilen fast schon skeletthaften Sounds den Pop-Appeal von Songs wie „Where’d You Go?“, „Julie“ oder „2468“ ganz besonders hell erstrahlen zu lassen.
Aus dem Echo der DIY-Indie Pioniere Television Personalities oder Swell Maps, einer Lo-Fi-Ästhetik, die beseelt ist von den frühen Guided By Voices, einem unwiderstehlichen Motorik-Beat, der in Richtung Stereolab deutet, und augenzwinkernder „Ba-Ba-Ba“-Eingängigkeit, die auf ein Faible für die Girl Groups und den Bubblegum-Pop der 60er verweisen, zaubern Nora Cheng (Gesang, Gitarre, Baritongitarre), Penelope Lowenstein (Gesang, Baritongitarre, Gitarre) und Gigi Reece (Schlagzeug, Gesang) kleine Ohrwürmer, die zu Herzen gehen und in ihrer brillanten Simplizität den Menschen im Publikum praktisch vom ersten Ton an ein Dauerlächeln ins Gesicht zaubern.
Bei den Rückgriffen auf das 2022er-Debütalbum „Versions Of Modern Performance“ wie „Option 8“ oder „Anti-Glory“ wird es auch mal ein wenig lauter, mit den Liedern aus dem aktuellen, an dieser Stelle zur Platte der Woche gekürten Album „Phonetics On And On“ tauschen Horsegirl allerdings zumeist Indierock-Dringlichkeit gegen einen Sound ein, der eher melancholisch als aufrührerisch ist. „An album that feels like cool people making art together. Wonderful vibe. Great music“, hatte ein Kommentator im Netz über die Platte geschrieben, und tatsächlich beschreibt das auch die besondere Atmosphäre im Molotow an diesem Abend sehr gut.
Denn auch wenn Horsegirl zuletzt überall offene Türen eingerannt haben, hat man hier nie das Gefühl, es mit Shooting-Stars zu tun zu haben, die dem Ruhm nachjagen, sondern einfach mit drei liebenswerten Musik-Nerds, die zwar definitiv smart genug sind, um auch anderweitig Karriere zu machen, aber sich offenbar nichts Schöneres vorstellen können, als gemeinsam auf der Bühne zu stehen und ganz nebenbei liebenswert DIY-Spirit zu zelebrieren: Für die Keyboard-Drones bei einigen Songs kleben sie zum Beispiel einfach die entsprechenden Tasten mit Klebeband fest…
(Leider nur) 45 Minuten lassen Horsegirl die Musik für sich sprechen, und eine Zugabe gibt es selbst dann nicht, als das Publikum mit minutenlangem Applaus darum bettelt. Trotz dieses kleinen Wermutstropfens (in den USA waren noch vor wenigen Wochen zwei, drei Songs mehr nie ein Problem): Vieles an diesem Abend erinnert an den wunderbar zwanglosen letzten Auftritt des Trios in der SkyBar des alten Molotows vor drei Jahren. Denn auch wenn Lowenstein, Reece und Cheng keine Teenager mehr sind, legen sie immer noch die gleiche bisweilen fast kindliche Freude am eigenen Tun an den Tag und die gleiche entrückte Lässigkeit, mit der sie uns damals schon bezirzt haben.
An ihr letztes Gastspiel in Hamburg können sich die drei übrigens bestens erinnern. Das ist vor allem dem Schlager-Move geschuldet, der laut und bunt über die Reeperbahn tobte. „Wir haben uns damals gefragt: Geht das hier jeden Tag so ab?“, erinnert sich Lowenstein kichernd, und als sei ein Beweis nötig, dass sie sich wirklich daran erinnern kann, singt sie uns gleich noch ein Stückchen aus Scooters „Maria (I Like It Loud)“ vor, wenngleich bei ihr aus „Da dub, dub dub, da da dub, dub dub“ witzigerweise „Depp, Depp, Depp, Johnny Depp!“ wird…
„Das ist ein Tag, den wir niemals vergessen werden!“, erzählt uns Lowenstein nach der Show. „Das Konzert war aber heute besser.“ Da müssen wir die Gute allerdings korrigieren, denn richtig müsste es natürlich heißen: „Das Konzert war heute noch besser!“