Laut und wütend – so brüllten sich Joe Hicklin (Stimme) und Callum Moloney (Schlagzeug) alias Big Special vor 15 Monaten auf ihrem Debütalbum „Postindustrial Hometown Blues“ all das von der Seele, was ihnen in ihrer englischen Heimat gehörig gegen den Strich ging. Ohne konkrete Antworten auf die vielfältigen sozioökonomischen und gesellschaftlichen Probleme liefern zu können oder zu wollen, waren die Songs des Erstlings eher ein Appell, ein Weckruf, der sich an all die richtete, die lieber den Kopf in den Sand stecken, statt anzupacken und zumindest zu versuchen, eine Kehrtwende herbeizuführen. Musikalisch abwechslungsreich waren die Tracks des Birminghamer Duos noch dazu.
Nicht gewillt, sich auf ein Genre festzulegen, war zwischen (Post-)Punk, Soul, Hip-Hop und – um einen Songtitel zweckzuentfremden – „Black Country Gothic“ alles erlaubt, was die Botschaft der Band und ihre Position als frustrierte Stimme der Arbeiterklasse glaubhaft unterstrich. All das machte Big Special praktisch zu einem ernstzunehmenden Gradmesser britischer Befindlichkeiten, eventuell auch, weil sie jenseits der ungefilterten Wut der seelenverwandten Sleaford Mods musikalisch mehr zu bieten hatten?
Wie schon beim Debüt sind nun auch auf dem ohne große Ankündigung veröffentlichten Nachfolger „National Average“ die Texte und Themen mitten aus dem Leben gegriffen. Vielleicht ist es deshalb kein Wunder, dass die neue Platte weniger ein Paukenschlag als der Soundtrack für Katerstimmung, ein Spiegelbild der alltäglichen Verzweiflung ist. Denn seit der Veröffentlichung des ersten Albums sind in Großbritannien zwar die Konservativen abgewählt worden, aber den ersehnten grundlegenden Neuanfang hat es auch unter der neuen Labour-Regierung bislang nicht wirklich gegeben.
Folglich bleibt Hicklins Sprechgesang weiterhin grantig und Moloneys Schlagzeug treibt die Songs mit Industrial-Unerbittlichkeit nach vorn. Die oft pechschwarzen, mit typisch britischem Sarkasmus gewürzten Texte ranken sich auch dieses Mal um das triste Leben der englischen Arbeiterschicht. Sie bilden aber auch die veränderte Realität der beiden Musiker nach dem unerwarteten Erfolg ihres ersten Albums ab.
Musikalisch haben die neuen Songs all die Ecken und Kanten, die man sich von einer modernen Post-Punk-Band wünscht. Gleichzeitig bestechen sie oft aber auch mit einem Funk und Groove, den man auf dem Vorgänger nur erahnen konnte, und entwickeln so bisweilen ungeahnten Pop Appeal. Anders gesagt: Auf diesem Album machen Big Special, was sie wollen, machen ihren Eigensinn zum Erfolgsrezept und liegen damit ohne Frage weit über dem „National Average“.
„National Average“ von Big Special erscheint auf So Recordings/Rough Trade.