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In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich der ursprünglich aus Louisiana stammende, aber seit Langem in Brooklyn lebende Singer/Songwriter Zachary Cale einen Namen als Musiker gemacht, der sich nicht gerne festlegen lässt. Das gilt ganz besonders für seine neue LP „Love’s Work“: Mit den evokativen Fingerstyle-Instrumentals des Album verarbeitet er den plötzlichen Tod seines Vaters auf ganz eigene Weise – oder wie er selbst es ausdrückt: „Ich bin kein Fan von Songtexten, die zu tiefe Einblicke gewähren, da sie oft so wirken, als würde jemand aus seinem Tagebuch vorlesen. Hätte ich in diesem Moment Songs geschrieben, wäre wahrscheinlich genau das dabei herausgekommen, also habe ich mich dagegen entschieden.“
Gesegnet mit einem betont eigenen Stil als Gitarrist und Songwriter, der für den nötigen Zusammenhalt in seinem Oeuvre sorgt, hat Zachary Cale allein mit seinen letzten drei Platten – dem ausufernden Americana-Doppelalbum „False Spring“ (2020), dem Rockband-Werk „Skywriting“ (2022) und der erstmals am Klavier entstandenen LP „Next Year’s Ghost“ (2024) – beeindruckenden Facettenreichtum unter Beweis gestellt. Mit „Love’s Work“ setzt er nun konsequent seinen Weg fort, sich neue Herausforderungen im oder jenseits des Singer/Songwriter-Genres zu suchen.
In den evokativen Instrumental-Nummern des Albums verarbeitet er den plötzlichen Tod seines Vaters auf ganz eigene Weise – oder wie er selbst es ausdrückt: „Ich bin kein Fan von Songtexten, die zu tiefe Einblicke gewähren, da sie oft so wirken, als würde jemand aus seinem Tagebuch vorlesen. Hätte ich in diesem Moment Songs geschrieben, wäre wahrscheinlich genau das dabei herausgekommen, also habe ich mich dagegen entschieden.“
Zur Seite standen ihm dabei wie schon auf dem Vorgänger Bassist Shahzad Ismaily und Drummer Jeremy Gustin, die mit ihrem Background in der Improv-Welt dafür sorgen, dass der legendäre Fingerstyle-Gitarrist John Fahey für diese in evokative Atmosphäre getauchten Songs ein wichtiger, aber nicht der einzige Referenzpunkt ist. Cales besonderes Melodiegespür steht dabei stets im Mittelpunkt.
In den kommenden Monaten stehen eine Reihe Konzerte – wenngleich leider vorerst nur in den USA – für Cale an, die Fertigstellung des zweiten Albums von Vague Plot, seiner Band mit Phil Jacob, Ben „Baby“ Copperhead, Uriah Theriault and John Studer rückt näher und in Gedanken ist er bereits bei seinem nächsten Werk unter eigenen Namen, für das er bereits einige Solo-Akustik-Nummern aufgenommen hat, die er in den kommenden Monaten noch weiter ausstaffieren will. Zuvor allerdings stand er Gaesteliste.de Rede und Antwort.
GL.de: Zachary, wenn du auf alles zurückblickst, was du in den letzten Jahrzehnten als Musiker erreicht hast: Was macht dich am glücklichsten, am stolzesten?
Zachary Cale: Das ändert sich. Manchmal habe ich das Gefühl, nicht genug getan zu haben, manchmal fühlt es sich ziemlich substanziell an. Sobald ein Album veröffentlicht ist, verschwindet es für mich irgendwie. Ich versuche, nicht zu viel zurückzublicken, denn wenn ich das tue, schäme ich mich normalerweise für Dinge, die ich veröffentlicht habe! Im Allgemeinen konzentriere ich mich mehr auf das, was vor mir liegt. Musik zu machen ist zu diesem Zeitpunkt Teil meines Überlebensinstinkts. Ich bin mir nicht sicher, ob es mich stolz oder glücklich macht, es ist einfach Arbeit. Wenn ich gerade ein Album fertiggestellt habe, bin ich irgendwie stolz auf diese Leistung, und wenn ich bei einem Konzert eine große Reaktion vom Publikum bekomme, macht mich das natürlich auch glücklich.
GL.de: Du hattest im Vorfeld der Entstehung dieses Albums widersprüchliche Gefühle hinsichtlich des Todes deines Vaters. Wie hat sich das ausgewirkt?
Zachary Cale: Nun, zum einen konnte ich keine Texte schreiben, das war alles zu bedrückend. Es fühlte sich aber ganz natürlich an, mich meiner Gitarre zuzuwenden, weil ich glaubte, dass ich meine Gefühle besser mit reiner Musik als mit Worten ausdrücken könnte. In dieser Musik steckt viel von meinem Vater. Er hat sein ganzes Leben lang Gitarre gespielt, daher symbolisieren das Gitarrenspiel und das Bild der Gitarre selbst meine Beziehung zu ihm. Er ist plötzlich verstorben, das war ein Schock. Die Zeit danach war noch schwerer. Es wirbelte viel dunkle Energie um mich herum. Das Gitarrenspiel half mir, dagegen anzukämpfen, denn Arbeit ist in dieser Hinsicht gut. Jeden Tag etwas zu haben, auf dem man aufbauen kann: mein Lebenswerk oder in diesem Fall mein Liebeswerk, mein „Love’s Work“. Die Liebe, die man in die Kunst steckt, bereichert den Moment, und mich bewahrt sie davor, von den dunklen Seiten des Lebens verschlungen zu werden.
GL.de: „Love’s Work“ ist vor diesem Hintergrund ein Instrumentalalbum geworden. Was ist für dich der Hauptunterschied zwischen Instrumentalstücken und Songs mit Gesang in Bezug auf das, was sie für dich bewirken?
Zachary Cale: Es kommt selten vor, dass eine Künstlerin oder ein Künstler beides gleich gut kann. Ich glaube nicht, dass man sie als zwei getrennte Welten betrachten muss. Viele meiner Lieblingskünstlerinnen und -künstler sind in ihrer Art, ihr Instrument zu spielen, sehr einzigartig, und das herauszustellen, ist ein entscheidendes Merkmal ihrer Arbeit. Ich habe schon immer Instrumentalstücke in meine Alben aufgenommen, und ich denke, jeder, der meine Arbeit verfolgt hat, würde zustimmen, dass ich einen Gitarrenstil mit Wiedererkennungswert habe, sodass der Übergang zu einer idyllischen Akustikklangwelt kein allzu großer Sprung sein sollte. Ob man nun singt oder nicht, es muss Bewegung und Melodie geben, damit ein Song unvergesslich wird. Heutzutage gibt es viel instrumentale Ambient-Musik, die sich allein auf die reine Stimmung verlässt. Ich komponiere gerne. Das ist ein wichtiger Teil meines Prozesses, wenn ich Songs schreibe: die Architektur der Gitarrenparts usw. Ich finde, man sollte weniger Angst davor haben, die Kluft zwischen thematischer Musik und songbasierter Musik zu überbrücken. Man kann beides auf einem Album oder sogar in einem Song unterbringen. Ich habe in den letzten Alben versucht, diese Mischung zu finden.
GL.de: Du hast erwähnt, dass du schon seit einiger Zeit ein rein instrumentales Album machen wolltest. Wie hast du dir den Sound vorgestellt, als du die Idee zum ersten Mal hattest, und wie sehr unterscheidet sich „Love’s Work“ von dieser ursprünglichen Vorstellung?
Zachary Cale: Alben werden nie so, wie ich sie mir ursprünglich vorstelle, und es scheint mir sinnlos, darüber überhaupt erst nachzudenken. Ich habe zwar eine erste Idee oder eine Songliste, aber sobald man mit den Aufnahmen beginnt, ändert sich unweigerlich alles. Die Songliste ändert sich, die Arrangements ändern sich. Es kommt darauf an, wer an diesem Tag zufällig im Studio spielt. Verstehe mich nicht falsch, es ist gut, eine Vision zu haben, aber zu versuchen, etwas Konkretes oder einen vorab festgelegten Plan umzusetzen, fühlt sich für mich wie das Gegenteil von Musik an. Ich lese gerade ein Buch über David Lynch, und natürlich hat er seine ursprünglichen Visionen davon, wie der Film sein soll, aber Szenen werden unvermeidlich herausgeschnitten, und es gibt viele Zufälle, wenn er mitten in der Regie oder im Schnitt steckt. Man muss sich darauf einlassen. Man muss die Zufälle zulassen und seinem Bauchgefühl und den Menschen, mit denen man zusammenarbeitet, vertrauen, und darauf, dass sich alles von selbst fügen wird.
GL.de: Im Kern ist „Love’s Work“ eine akustische Fingerstyle-Platte, gleichzeitig ist das Album aber auch noch viel mehr als das, vor allem durch die Streicher, die bei einigen Stücken dazukommen. Wusstest du schon vorher, dass bestimmte Gitarrenmelodien eine zusätzliche Ausstaffierung mit Streichern, Klavier oder Steel-Gitarre brauchen, um richtig zur Geltung zu kommen?
Zachary Cale: Nein, ich hab das nicht im Voraus geplant. Ich wusste ehrlich gesagt nicht, welche Instrumente dabei zum Einsatz kommen würden, bis ich mit der Produktion begonnen habe. Das Einzige, was feststand, war das Kern-Trio aus mir an der Gitarre, Shahzad Ismaily am Bass und Jeremy Gustin am Schlagzeug. Ich habe die Streicher Arun Ramamurthy und Trina Basu bei einem gemeinsamen Auftritt kennengelernt. Als ich ihnen bei ihrem Violinen-Duo-Set zusah, wusste ich sofort, dass sie perfekt für einige dieser Stücke sein würden. Robert Boston hat auf einigen meiner älteren Alben Klavier gespielt. Er hat eine klassische Ausbildung und beherrscht auch den Jazz, daher wusste ich, dass er ebenfalls gut dazu passen würde. Für einige der twangigeren Stücke habe ich JR Bohannon an der Steel Guitar hinzugezogen.
GL.de: Das Albumcover erinnert ein wenig an die Gestaltung deines Albums „Duskland“. Gibt es eine Geschichte dazu?
Zachary Cale: Das Foto auf dem Cover wurde von Calvin Seibert geschossen, einem bildenden Künstler aus New York. Es gab eine Zeit, in der er jeden Tag an den Strand ging, um Sandburgen zu bauen und diese zu fotografieren. Ich fand die Idee cool und passend zum Titel des Albums. Auch hier geht es wieder um die Liebe, die man in seine Arbeit steckt, auch wenn sie vergänglich ist. Mir gefällt, wie die Burgen gleichzeitig alt und futuristisch wirken. Ich denke, das Cover ist eine Metapher für Kunst und das Leben im Allgemeinen: Das Meer steht für die Zeit und die Burg ist ein Symbol für die Kunst.
GL.de: Es ist immer wieder faszinierend zu erfahren, wie Künstlerinnen und Künstler ihre instrumentalen Werke benennen. Da du einige sehr eindrückliche Titel gewählt hast: Wie bist du vorgegangen?
Zachary Cale: Mir hat es immer gefallen, wie Brian Eno seine Instrumentalstücke betitelt hat, sie scheinen auf eine Art Traumlohik-Geografie Bezug zu nehmen. Die meisten Titel auf „Love’s Work“ sind ortsspezifisch. Sie beziehen sich auf reale Orte im Norden des Bundesstaates Washington. Dort sind mein Vater und seine Verwandtschaft geboren und aufgewachsen. Sie gehörten zu den ersten Siedlern im Skagit Valley, das nördlich von Seattle und direkt unterhalb von British Columbia, Kanada, liegt.
Hier ist eine Übersicht über die Titel.
„Open The Gate“: bezieht sich auf nichts anderes als den Beginn des Albums.
„All Roads Lead Back To You“: ist eine Anspielung auf den Satz „Alle Wege führen nach Rom“, aber in diesem Fall dachte ich an meinen Vater.
„Water Ballet“: ist eine Art Anspielung auf meinen Vater. Er war von Beruf Tiefseetaucher. Er liebte das Wasser und schwamm gerne.
„Sleeping Giant“: Mir gefiel einfach der Ausdruck, und er passte zur Melodie. Es ist eher ein zurückhaltendes und atmosphärisches Stück, aber es liegt eine Spannung darin, als könnte jeden Moment etwas Großes passieren.
„Fixing A Fire On Hope Island“: Hope Island ist ein realer Ort am Sneeoosh Beach. Mein Onkel lebte dort. Als Kind nahm mich mein Vater mit einem Ruderboot mit in die Skagit Bay. In dieser Gegend gibt es einige kleine Inseln. Wir ruderten immer zu Hope Island hinaus und zelteten dort.
„Northwestern“: ist eine Anspielung auf den pazifischen Nordwesten. Ich habe meine prägenden Jahre dort verbracht und habe dort immer noch Freundinnen und Freunde und auch Familie.
„Love’s Work“: ist ein Wortspiel mit dem Ausdruck „Life’s Work“, Lebenswerk. Ich habe die Melodie dieses Songs ausgearbeitet, als ich das letzte Mal meinen Vater besucht habe.
„The Poplars Sway In The Valley“: Das Tal im Titel ist das Skagit Valley, in dem mein Vater lebte. Hinter dem Grundstück meines Vaters wuchsen Pappeln. Sie waren hoch und sahen aus, als wären sie vom Wind gepeitscht worden.
„Tumble Low Dry“: ist der Schleudergang einer Waschmaschine. Mir gefiel dieser Ausdruck einfach sehr gut. Er klang musikalisch.
„At Deception Pass“: ist eine Meerenge, die Fidalgo Island von Whidbey Island trennt. Die Deception Pass Bridge verbindet die beiden Inseln. In dieser Region ließ sich die Familie meines Vaters Ende des 19. Jahrhunderts nieder. Sie besaßen das Land, überließen es aber irgendwann dem Staat, damit es als State Park erhalten bleibt.
GL.de: Letzte Frage: Was sollen die Hörerinnen und Hörer von diesem Album mitnehmen?
Zachary Cale: Dass sie sich wie auf einer Reise fühlen. Das sollten alle Alben bewirken.
„Love’s Work“ von Zachary Cale erscheint auf All Hands Electric.




