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„Are We Alright?“ haben Amber & The Moon ihr zweites Album getauft, aber zum Glück bezieht sich der Titel nur auf die immer wieder durchscheinenden Zweifel, wenn sie textlich im Spannungsfeld von Nähe und Loslassen, Unsicherheit und Akzeptanz den schwierigen Fragen des Lebens nachspüren. Musikalisch dagegen sind diese zehn neuen Songs des Hamburger Quartetts viel mehr als nur „alright“: Mit diesen wunderbar filigranen Indie-Folk-Liedern tauchen Sängerin, Gitarristin und Songwriterin Ronja Pöhlmann, Gitarrist Jonathan Riedel, Schlagzeuger Torben Sdunek und dem auch für die Produktion verantwortlichen Bassist Ben Schadow die Stärken ihres beeindruckenden 2023er-Erstlings „Things We Have In Common“ in ein neues Licht und betonen intime Zerbrechlichkeit, cineastische Weite und klangliche Vielschichtigkeit.
Wie schon auf „Things We Have In Common“ setzen Amber & The Moon auch auf „Are We Alright?“ oft auf kunstvolle Redaktion, um zum emotionalen Kern ihrer Songs vorzustoßen, die melancholisch und berührend zugleich sind. Allerdings dürfen dieses Mal aber auch Streicher und Piano neue Akzente setzen, und auch der herrliche Harmoniegesang von Ronja und Jonathan, der zuvor bereits Vergleiche mit Damien Rice und Lisa Hannigan oder Angus & Julia Stone inspiriert hatte, strahlt nun in Songs wie „All Is Well“ oder „Our House“ besonders hell. Wie schon das Debüt wurde „Are We Alright?“ wieder analog aufgenommen und besticht so abermals durch organisches Handmade-Flair.
Zeitlos schön sind diese Lieder, in denen bisweilen der amerikanische Westcoast-Pop der 70er-Jahre und ein Hauch von Fleetwood Mac für sanften Retro-Charme sorgen, am Ende aber doch Ronjas eigene Handschrift als Songwriterin und die stille Stärke im Fokus steht, mit der sich die ursprünglich aus Bayern stammende, inzwischen aber seit einigen Jahren in Hamburg heimische Musikerin den Widrigkeiten der modernen Welt stellt.
Bevor noch im Oktober viele Konzerte anstehen – in Hamburg mit der kompletten Band und Special Guests, im Rest der Republik in intimer Duo-Besetzung -, sprach Gaesteliste.de mit Ronja über die Entstehung von „Are We Alright?“.
GL.de: Ronja, ganz allgemein zum Einstieg: Welche Rolle spielt die Musik für dich in deinem Leben und wie hat sich das verändert über die Jahre?
Ronja: Die Musik hat tatsächlich schon immer eine sehr tragende Rolle in meinem Leben gespielt. Das hat sich auch gar nicht groß verändert, aber intensiviert, als dann irgendwann der Wunsch aufkam, das wirklich professionell auch als Karriere anzustreben. Für mich ist Musik auf jeden Fall der Dreh und Angelpunkt in meinem Leben, der mir einfach sehr viel Freude bringt.
GL.de: Eine der Rollen, eine der Aufgaben, das deutet der Albumtitel bereits an, scheint speziell dieses Mal auch zu sein, Fragen zu stellen. Im Presseinfo stehen ebenfalls gleich eine ganze Reihe Fragen am Anfang: „Wie bewahren wir Beziehungen und Freundschaften, deren Grenzen zerfließen, sich verändern oder gar verblassen? Wie überbrücken wir die Distanz zu geliebten Menschen, die wir nur aus der Ferne stützen können?“ Doch was ist in diesem Szenario eigentlich der tatsächliche Ausgangspunkt für das Songwriting?
Ronja: Es war auf jeden Fall so, dass ich mir in den letzten zwei Jahren während des Entstehungsprozesses des neuen Albums ganz viele Fragen gestellt habe. Fragen an mich und Fragen an das Leben, und die habe ich in vielen dieser Songs verarbeitet. In diesem Entstehungsprozess habe ich ein Buch gelesen, „Briefe an einen jungen Dichter“ von Rainer Maria Rilke. Das ist ja ein Briefwechsel zwischen einem Ratsuchenden, dem jungen Dichter, und Rainer Maria Rilke, der in dem Szenario der Mentor ist. Dieser junge Dichter stellt ganz viele Fragen an das Leben und das Leben in der Kunst, und Rilke sagt irgendwann zu ihm: „Lerne all diese Fragen lieb zu haben, und irgendwann ganz unbewusst wirst du in die Antwort hineinleben“. Das fand ich irgendwie total schön, weil es einfach beim Songwriting sehr passend war. Für mich ist es total menschlich, dass wird viele Fragen haben, und sobald wir keine Antworten haben und die Ungewissheit vor der Tür steht, werden diese Fragen sehr schnell mal zu Zweifeln. Das Album dreht sich dann für mich total um diese Akzeptanz und sogar um die Versöhnung damit, auf all diese Fragen keine Antwort zu haben. Deshalb war es für mich sehr passend, das Album mit sehr viel Fragen zu beginnen und mit einer Frage im Titel – „Are We Alright?“ – abzuschließen.
GL.de: Obwohl „Akzeptanz“ in diesem Zusammenhang das Zauberwort ist, umweht auch viele der neuen Songs der gleiche Hauch von Melancholie, der schon auf dem Debüt allgegenwärtig war. Ist das Ausdruck deiner Persönlichkeit, oder lebst du das vor allem in der Musik aus?
Ronja: Ja, es stimmt, dass den Songs auf jeden Fall eine gewisse Melancholie innewohnt. Für mich ist dieser Prozess dann entscheidend, diesen Song zu schreiben und all diese starken Gefühle darin zu verarbeiten. Ich würde sagen, danach geht es einem so viel besser, aber man muss erst einmal durch all diese Emotionen und vielleicht auch durch all diese Fragen durch, damit man dann in diese Versöhnung gehen kann.
GL.de: Was sind für dich rückblickend die wichtigsten Lektionen, die ihr bei den Aufnahmen des ersten Albums gelernt habt?
Ronja: Um mal weiter auszuholen: Amber & The Moon ist ja 2021 als mein Soloprojekt gestartet. Ich bin 2019 nach Hamburg gezogen, um hier Musik zu machen. Wie so viele hat die Pandemie natürlich auch mich betroffen. Deshalb habe ich die erste Single, „Eldorado“, damals noch in Eigenregie alleine veröffentlicht. Ich hatte aber damals schon die ganze Zeit im Kopf, dass ich Mitmusiker*innen für mein Projekt haben und eine Band gründen möchte. Das ist mir Gott sei Dank 2022 dann gelungen, und in der Formation zu viert spielen wir nach wie vor zusammen. Beim ersten Album war das sehr kurzfristig, weil das Studio damals schon gebucht war, und ich glaube, wir haben uns tatsächlich erst zwei Wochen davor final gefunden und sind dann ins Studio. Das war dann natürlich noch eine große Hürde, gerade auch was die Kommunikation angeht, um eine gemeinsame musikalische Sprache zu finden. Manchmal benutzt man dieselben Wörter, aber für alle bedeutet das etwas anderes. Das muss man dann auch erst noch lernen. Das war auf jeden Fall schon ein längerer Prozess, der uns während der Produktion zum ersten Album begleitet hat. Dadurch hatte ich allerdings das Gefühl, dass der Start zum zweiten Album total geebnet war, weil wir diese Kommunikationsrätsel schon gelöst hatten. Jedes Mal, wenn ich jetzt einen Song mit in den Proberaum gebracht habe, war es bereits klar, wie wir aufeinander reagieren.
GL.de: Mit welcher Geisteshaltung bist du die Songs für diese zweite Platte angegangen? Gerade vor dem Hintergrund, dass eure erste Platte trotz der gerade genannten Umstände erstaunlich rund klang und gar nicht wie ein typisches Debütalbum.
Ronja: Schön, dass du das sagst, denn das haben wir lustigerweise jetzt von den Leuten, die auch die zweite Platte schon hören durften, öfter als Feedback bekommen – dass sie fanden, die erste Platte total ausgereift war und dass das zweite Werk irgendwie sehr gut daran anknüpft. Das freut uns natürlich sehr. Hinsichtlich der Geisteshaltung war es dieses Mal mein großes Ziel, mir mehr Zeit mit allem zu nehmen – auch gerade, was den ganzen Veröffentlichungszyklus angeht, denn das kann teilweise schon ein kleiner Höllenritt sein. Damit meine ich nicht die Produktion, sondern alles, was danach passiert, die ganze Marketingsache – Content-Produktion, wie man so schön sagt (lacht). Denn natürlich will man am Ende nicht nur eine tolle Platte haben, in die man zwei Jahre Arbeit gesteckt hat, sondern man möchte auch, dass sie viele Menschen erreicht. Bei der ersten Platte war das einfach sehr viel. Da habe ich ja auch alles zum ersten Mal gemacht, und es ist ja meistens noch einen Tick intensiver, wenn man noch gar nicht weiß, wie alles funktioniert, aber man natürlich sein Bestmöglichstes geben will. Danach war ich ziemlich zermürbt und musste mich erst mal wieder ein bisschen fangen. Deshalb war der Plan dieses Mal: Ich will die Songs schreiben, ich will, dass die Songs Raum und Zeit haben, sich zu entfalten. Ich will sie ruhen lassen, um darauf reagieren zu können, und dann erst den Höllenritt antreten, was die PR angeht (lacht).
GL.de: Fertiggestellt wurde die Platte wie schon der Erstling im Studio Nord in Bremen, einem der ältesten analogen Tonstudios in Deutschland. Was reizt dich an alter Technik und altem Equipment?
Ronja: Wenn ich ehrlich bin, glaube ich, dass wir alle auf jeden Fall total auf Charakter-Instrumente stehen und natürlich auch auf die Aufnahmeform. Ich finde das total unromantisch, alles am Computer zu machen. Theoretisch kannst du dir den Aufwand sparen, in ein teures Tonstudio zu gehen, denn 80% der Weltbevölkerung wird den Unterschied womöglich nicht hören. Ich denke, dass die eigene Begeisterung dafür und die gewisse Künstler*innenseele mitspielen, wenn man alles so ehrlich und pur wie möglich gestalten will. Das spielt auf jeden Fall eine große Rolle, auch wenn wir uns vor neuer Technik jetzt nicht total versperren (lacht). Ich denke, da spielt einfach ganz viel Künstler*innenherz mit. Wenn ich Musik von anderen Künstler*innen höre, sind es für mich immer die schönsten Momente, wenn man hört: Ah, okay, da hat sich jemand verspielt, oder: Das war eigentlich gar nicht so gemeint. Manchmal sorgt ja genau das dafür, dass man das Musikstück so gerne hat – weil man das Gefühl hat, man sitzt mit der Band in einem Raum und hört zu und alles ist echt.
GL.de: Ein wichtiger Aspekt bei den analogen Aufnahmen ist ja auch, dass man sich beschränken muss und es nur bedingt – oder zumindest deutlich aufwändigere – Möglichkeiten für nachträgliche Korrekturen gibt.
Ronja: Beschränkung ist in der Regel tatsächlich etwas sehr Gutes (lacht). Es ist etwas, was ich in den letzten Jahren für mich gelernt habe. Natürlich ist das erst mal schön, wenn du am Anfang denkst: Ach, toll, man hat so viele Möglichkeiten! Aber am Ende ist es ein solcher Berg an Möglichkeiten, der dich vielmehr davon abhält, wirklich kreativ zu sein und weiterzukommen. Deshalb finde ich Beschränkungen oftmals toll, dass man dann sagt: „OK, das ist es jetzt!“ Wir machen das zum Beispiel oft so, dass wir uns limitieren, wenn wir die Songs live mit der ganzen Band im Raum einspielen. Wir sagen uns dann: „OK, es gibt maximal 8 Takes und nicht mehr, und einer der Takes landet dann so auf dem Album.“ Das kommt auf jeden Fall auch von unserem Produzenten Ben Schadow, den man von Rhonda oder Bernd Begemann und die Befreiung kennt.
GL.de: Tatsächlich gelingt es euch sehr gut, die Essenz der Songs einzufangen. Fällt euch das leicht oder schießt ihr manchmal übers Ziel hinaus und müsst zurückrudern?
Ronja: Ich glaube, wir haben bei beiden Platten die Weichen sehr bewusst dafür gestellt, indem wir einen blockhaften Aufnahmeablauf hatten. Wir haben versucht, die Songessenz von Anfang an einzufangen, weil wir wussten, dass das wirklich das Wichtigste ist, und drumherum bauen kann man immer. Die Songessenz ist halt die, dass ich meistens den Song zu Hause auf der Gitarre komponiere und dann auch schon den Text habe und meinen Gesang. Das ist die Essenz, und darauf bauen wir auf. Deshalb haben wir es dieses Mal wieder so gemacht, dass wir erst mal in ein Tiny House in der Pampa gefahren sind. Da waren wir wirklich umgeben von Wäldern und Wiesen, und sonst gab es nichts, keine Ablenkungen. Ich glaube, wir hatten auch gar kein Netz, nur ein nettes Bauernpärchen, das ab und zu frisch gebackenen Kuchen vorbeigebracht hat (lacht). Dort haben wir dann die Akustikgitarren aufgenommen, und auf dieser Basis haben wir dann später die ganzen Songs im Studio Nord in Bandbesetzung eingespielt. Dadurch konnten wir diese Essenz immer bewahren, und sie stand immer im Fokus. Natürlich gibt es da manchmal Momente, wo man dann doch noch Overdubs aufnimmt, und manchmal hat man ganz viele Ideen und muss sich dann nochmal kurz zügeln und fragen: „Ist das wirklich songdienlich, oder macht man das jetzt nur, weil es funktioniert?“ Ich glaube, das haben wir alle immer ganz gut im Blick.
GL.de: Die zusätzlichen Streicher habt ihr euch dann aber doch gegönnt?
Ronja: Die Streicher sind deshalb dazugekommen, weil wir im Oktober 2024 ein ganz tolles Konzert im kleinen Saal der Elbphilharmonie spielen durften. Nur für diesen Anlass haben wir uns ein Streicher-Trio und einen Pianisten als Gastmusiker*innen dazugeholt. Für das Konzert haben wir komplette Streichersätze geschrieben, und das war so toll und hat sich so toll musikalisch eingefügt, dass wir alle danach dachten: Das wollen wir auf der zweiten Platte verewigen! Wir hatten zwar für alle Songs Streichersätze komponiert, aber man will das ja auch nicht überstrapazieren, und deshalb haben wir uns gefragt: „Bei welchen Songs ist das wirklich songdienlich und fügt eine schöne Klangfarbe hinzu, und bei welchen Songs wäre es vielleicht einfach nett, aber man braucht es nicht unbedingt?“ Da kommen wir wieder zur Reduktion.
GL.de: Du hast gerade das Konzert in der Elbphilharmonie erwähnt. Welche Wünsche und Träume sind noch offen?
Ronja (lachend): Gerne noch einmal Elbphilharmonie im großen Saal! Ich fände es total schön, wenn wir einfach viele Leute erreichen und dass man weiß, wenn man eine Tour spielt, dass genug Leute kommen. Dass man eine gewisse Sicherheit aufbaut und nicht ganz viel ackert und dann immer mit der Ungewissheit leben muss, was die Außenwelt angeht. Das ist jetzt zum Beispiel so. Wir gehen im Zuge der Albumpromotion auf Tour und diesmal leider nur im Duo, weil das ganz ehrlich einfach aus finanzieller Sicht nicht anders machbar ist. Es ist natürlich ein Unterschied, ob du zwei Leute von A nach B transportieren musst mit Unterkunftskosten etc. oder vier. Es wäre auf jeden Fall toll, wenn es irgendwann so gut liefe, dass man weiß, man kann auch die ganze Band mitbringen, denn so ist die Musik natürlich auch intendiert, dass man das, was man auf dem Album hört, gerne auch live präsentieren möchte. Ich fände es auch schön, mal außerhalb der deutschen Grenzen zu spielen.
GL.de: Bevor es im Oktober in ganz Deutschland die gerade erwähnten Duo-Auftritte geben wird – Singer/Songwriterin Dear Anna steht an den meisten Abenden mit ihren Songs auch noch auf der Bühne – gibt es aber am Tag vor der Albumveröffentlichung (09.10.2025) eine ganz besondere Record-Release-Show im Nachtasyl des Hamburger Thalia Theaters.
Ronja: Genau! Da feiern wir sozusagen in den Album-Release rein, und dort spielen wir nicht nur mit ganzer Band, sondern wir haben auch Streicher und einen Pianisten dabei. Darauf freue ich mich total, weil es musikalisch einfach ein Highlight ist, mit diesen talentierten Musiker*innen auf der Bühne zu stehen. Es macht einfach unglaublich viel Spaß, wenn man merkt, wie die eigenen Songs, die man nur mit der Akustikgitarre geschrieben hat, plötzlich so ein tolles musikalisches Gewand haben, so ein Bett, in das man sich fallen lassen kann. Das macht mir einfach viel Freude, und ich bin mir sicher, dass das auch ganz viele Leute genießen können!
„Are We Alright?“ von Amber & The Moon erscheint auf Popup-Records/The Orchard.




