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Gute Platten brauchen nicht viel Anlauf: Marathon fesseln auf ihrem Debütalbum „Fading Image“ vom ersten Ton an, wenn sie in ihren von Melancholie umwehten Songs in einem oft herrlich ungestümen, ja rohen Sound all das ins Hier und Jetzt bugsieren, was einst Grunge, Alternative Rock, Indierock, Shoegaze und Post-Punk spannend gemacht hat. Im Juni ist die Amsterdamer Band auch live in Deutschland zu erleben, vorab sprach Gaesteliste.de mit Sänger/Gitarrist Kay Koopmans, Drummer Lennart van Hulst und Bassistin Nina Lijzenga.
Der Legende nach fanden Marathon ihren Namen, als alle Bandmitglieder ob eines parallel stattfindenden Marathonrennens zu spät zur Probe kamen, doch wenn man nun das erste Album des Trios hört, könnte man auch schnell auf die Idee kommen, dass das Musikmachen für die Band in der Tat ein Marathon und nicht wie bei so vielen anderen jungen Acts heute ein kurzer Sprint zum schnellen Erfolg ist. „Wir würden nicht aufhören, gemeinsam Musik zu machen, wenn uns die Leute nicht mehr zuhören würden“, sagt Nina. „Natürlich lieben wir es, vor Publikum aufzutreten, aber wir hatten schon jahrelang zusammen gespielt, bevor irgendjemand etwas von uns gehört hat, deshalb würden wir nie aufhören. Wir wollen in der Tat die ganze Distanz gehen.“
Eilig haben es Kay, Lennart und Nina nun wirklich nicht. Die drei machen schon seit Schulzeiten gemeinsam Musik, doch erst nach der Pandemie wurde aus ihren wöchentlichen Jam-Sessions eine echte Band mit einer musikalischen Vision für eine gemeinsame Zukunft, in der die spontane Intensität des Jammens für eine ungewöhnliche Note sorgt. Das Gefühl, dass die Chemie zwischen ihnen stimmt, hatten die drei allerdings schon früher. „Es klingt ein bisschen kitschig, aber ich habe bereits bei unserer allerersten Jam-Session gemerkt, dass es einfach klick macht“, erinnert sich Nina. „Damals waren wir 17, und deshalb habe ich nicht gedacht: Oh, lasst uns eine Karriere daraus machen! Es war eher ein: Lasst uns weiter zusammen jammen, denn es fühlt sich einfach richtig an.“ Nach der Pandemie nahmen Marathon an einem Bandcontest teil, nur um endlich mal wieder für einen Auftritt auf die Bühne zu kommen, doch zu ihrer eigenen Überraschung gewann die Band am Ende von drei Runden und drei ausverkauften Shows den gesamten Wettbewerb. „Das war der Moment, in dem uns bewusst wurde, dass es nicht nur für uns funktioniert, sondern auch für das Publikum“, sagt Kay. „Das machte uns bewusst: Wir haben hier etwas Besonderes, lasst uns da dranbleiben und sehen, wie weit wir es bringen können!“
Deshalb ist es der Band auch wichtig zu betonen, dass ihr facettenreicher, ungemein intensiver Sound, der wild und durchdacht zugleich ist und dynamisch das gesamte Spektrum von niedergeschlagen bis angriffslustig, von Licht bis Schatten abdeckt, ein Mix aus vielen verschiedenen Inspirationen ist. Sich allein auf die oft bemühten Post-Punk-Referenzen reduzieren zu lassen, wäre Marathon zu wenig. „Wir hatten nie die Absicht, Post-Punk zu machen“, erklärt Kay. „Wir haben einfach drauflos gejammt, und auf einmal sagten die Leute: ‚Hey, das klingt wie dies oder das.‘ Das passiert einfach, wenn die Musik auf so organische Art entsteht wie bei uns. Auf diese Weise stellen wir eine Verbindung her, und das ist der Moment, in dem die Magie entsteht.“
Während die Band trotz ihrer freigeistigen Herangehensweise ihre Ideen am Ende dennoch in Songs wie den Singles „Out Of Depth“ oder „For The Better“ verdichtet, die durchaus popmusikalischen Ansprüchen genügen, gab es mit „Shadow Raised A Star“ doch eine Ausnahme. „Das war anfangs nur eine große Jam, die bestimmt zehn Minuten lang war“, erinnert sich Lennart, und Kay fährt fort: „Das ist ein ganz besonderer Song, auch wenn er zunächst nirgendwo so richtig zu passen schien. Wir wussten einfach nicht, was wir damit anfangen sollten. Der Text dazu entstand erst viel, viel später, aber dann machte es klick und sorgte dafür, dass das instrumentale Ende viel mehr Gewicht bekommen hat. Zwei, drei Jahre hatten wir den Song beiseitegeschoben, aber ich bin sehr glücklich, dass er nun mit auf das Album gekommen ist, denn schon beim Jammen war allen im Raum klar: Hier passiert etwas Besonderes!“
Mit der Single „Age“ und ihrer selbstbetitelten EP konnten Marathon in den zurückliegenden Jahren in ihrer Heimat bereits eine Menge Staub aufwirbeln, trotzdem ist unüberhörbar, dass sie mit ihrem betont lebendig klingenden Album jetzt einen gehörigen Satz nach vorn machen. Denn auch wenn sich die Band – bei ihren Konzerten inzwischen mit Sofie Ooteman und Victor Dükstra zum Quintett erweitert – schon längst den Ruf einer mitreißenden Live-Band erspielt hat – die Wucht ihrer Konzerte so richtig einzufangen, gelingt ihnen nun erstmals auf „Fading Image“: „Das war ein längerer Prozess“, gibt Kay lachend zu. „Mit unserer ersten Single und unserer EP waren wir noch auf der Suche. Die Aufnahmen entstanden sehr schnell und wir hatten keine Ahnung. Bei den Album-Sessions war es uns dann ein besonderes Anliegen, die Bühnen-Energie auch in den Aufnahmen einzufangen.“ – „Eine große Rolle dabei hat gespielt, dass wir die Basis der Songs, Gitarre, Bass und Schlagzeug, in einem Take live eingespielt haben, bevor wir die anderen Instrumente hinzugefügt haben“, sagt Nina. „Das bedeutet, dass du die Unvollkommenheit der Aufnahmen akzeptieren musst, aber genau deshalb kann man die Energie in den Songs spüren.“
Weitere entschiedene Faktoren im Produktionsprozess waren ein größeres Zeitbudget und mehr Ahnung von den Abläufen. „Zuvor hatten wir keine echte Studioerfahrung“, gesteht Nina. „Plötzlich heißt es dann 3, 2, 1 – los! Das hat uns etwas verunsichert.“ – „Die EP haben wir in ein, zwei Tagen aufgenommen, und jetzt hatten wir eine ganze Woche Zeit“, erklärt Lennart. „Außerdem waren wir auf die Aufnahmen durch eine Vor-Produktion viel besser vorbereitet. Wir hatten die Gelegenheit, genau zuzuhören und wo nötig noch etwas an den Songs zu schrauben.“
Auch in ihrer inhaltlichen Ausrichtung unterscheiden sich EP und Album, und das ist natürlich kein Zufall. „Auf dem Album wollten wir eine möglichst große Bandbreite abbilden und all die Ideen verwirklichen, die wir haben“, sagt Kay. „Die EP war viel stärker auf eine Idee, eine Vision fokussiert. Auf dem Album gibt es nun viel mehr Abwechslung. Ein weiterer großer Unterschied war dieses Mal, dass wir nach Beendigung der Produktion ein bisschen zum Thema Mastering geforscht haben und uns gefragt haben, wen wir auf internationaler Ebene dafür ansprechen könnten. Bei unseren früheren Veröffentlichungen hatten wir uns lokal nach jemandem für Mastering umgeschaut, und das war schnell und einfach, aber dieses Mal haben wir eher geschaut, welche Platten wir mögen und welche Art von Mastering uns gefällt. Dadurch sind wir auf John Webber gestoßen, der die Höhen im Mix betont und so zu einem sehr klaren Sound kommt.“ Zu den früheren Klienten des Grammy-Gewinners Webber gehören neben vielen anderen Honeyglaze, Ash, Divorce oder English Teacher, folglich sind Marathon in guter Gesellschaft. „Das hat alles auf das nächste Level gehoben“, freut sich Lennart.
Eine andere Besonderheit im Sound von Marathon ist das Faible für den Bass VI, einen sechssaitigen Bass, den beispielsweise auch Robert Smith von The Cure auf vielen seiner berühmtesten Songs benutzt. Für Nina waren es aber vor allem praktikable Gründe, die sie zu dem Instrument brachten, mit dem man – verkürzt und laienhaft ausgedrückt – für gewöhnlich den Gitarren vorbehaltene Melodien auch auf dem Bass spielen kann. „Als wir angefangen haben, waren wir ja nur zu dritt“, erklärt sie. „Als Trio einen aufgeschichteten Shoegaze-Sound zu erzeugen, war sehr schwierig. Zu der Zeit habe ich in einem Musikgeschäft gearbeitet, und eines Tages kam das Bass-IV-Reissue von Squier rein. Ich sah das Instrument und mir ging ein Licht auf. Ich wusste sofort: Das ist die Antwort für unser Problem!“ Sie lacht. „Heute ist es weniger von Bedeutung, da wir zwei zusätzliche Gitarristen in der Band haben und ich die Lücken nicht mehr füllen muss, aber ich habe mich so daran gewöhnt, dass ich mich nicht mehr davon trennen kann!“
Textlich ließen sich Marathon dieses Mal von in Gesprächen aufgeschnappten Sätzen oder Zitaten aus Büchern inspirieren, um die herum komplette Texte entstanden, in denen die stetige Veränderung im Leben thematisiert wird. Das ständige Hin und Her der modernen Welt taucht in vielen Songs auf, wenn die Sorgen und Ängste aufgegriffen werden, die viele im 21. Jahrhundert verspüren. Das allerdings ist kein Kunstgriff, sondern letztlich schlicht eine Notwendigkeit. „Wir fühlen die Frustration, denn natürlich leben wir alle im Hier und Jetzt und unsere Musik ist Ausdruck dieser Gefühle“, sagt Nina. „Auch wenn wir nicht buchstäblich über das schreiben, was vor sich geht: Die Zeiten, in denen wir leben, spiegeln sich natürlich trotzdem in unserer Musik wider.“
Deshalb nimmt der Gesang dieses Mal auch eine etwas prominentere Rolle ein, nachdem er auf den früheren Marathon-Veröffentlichungen eher als zusätzliches Instrument eingesetzt worden war. „Für die EP haben wir alles geschrieben und teils sogar schon aufgenommen, bevor der Gesang stand“, erklärt Nina. „Ich denke, letztlich sehen wir die Stimme immer noch als zusätzliches Instrument, der Unterschied war vor allem, dass wir dieses Mal mehr Zeit hatten, noch ein bisschen an den Texten zu feilen, damit sie stärker in Bezug zur Musik stehen und nicht nur eine Extraschicht obendrauf sind.“
Keine Veränderungen gab es dagegen bei der Gestaltung des Albumcovers. Wie schon bei Single und EP arbeiteten Marathon auch für „Fading Image“ mit dem in Utrecht ansässigen Illustrator und Designer Bob Mollema zusammen, der in seiner Arbeit ein Faible für die Grafik des Altertums, eine gewisse Naturverbundenheit und Pop-Culture-Referenzen verbindet und den Marathon-Werken so auch visuell das gewisse Etwas verleiht. „Wir – und auch Bob in seinem Tun – sind seit der ersten Single so gewachsen, dass es sinnvoll erschien, weiter zusammenzuarbeiten“, sagt Nina, und Kay ergänzt: „Wir mögen Bobs Kreationen, und uns gefiel die Idee, dass er uns bei all diesen Debüts – erste Single, erste EP und erstes Album – begleitet.“ Er hält kurz inne. „Es ist uns wichtig, dass der Kreis sich schließt.“
„Fading Image“ von Marathon erscheint auf V2/Bertus.