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Willkommen zu Hause!
Mit ihren letzten Veröffentlichungen hat Hayley Reardon bereits deutlich gemacht, dass sie auf der Suche nach neuen Herausforderungen jenseits des „Girl with a guitar“-Traditionalismus ihrer Anfangstage ist. Jetzt wird das auch auf der Bühne sichtbar. Zum Abschluss ihrer Deutschland-Tournee steht die Singer/Songwriterin aus Massachusetts nicht wie zuvor allein auf der Bühne, sondern taucht ihre einfühlsamen Storytelling-Songs gemeinsam mit dem dänischen Multiinstrumentalisten Toke Lynggaard auch live in ganz neue Farben.
Hayley Reardon hat offensichtlich Gefallen an der Idee gefunden, nicht mehr allein auf der Bühne stehen zu müssen. Beim ersten Teil ihrer aktuellen Deutschland-Tournee hatte sie den spanischen Gitarristen Pau Figueres an ihrer Seite, der schon bei ihren letzten Veröffentlichungen ihr wichtigster Kollaborateur gewesen war, und obwohl der Rest der Gastspielreise eigentlich als Solo-Konzerte angekündigt war, zauberte die 28-jährige Amerikanerin auch für die restlichen Konzerte mit Toke Lynggaard aus Kopenhagen noch einen Begleiter aus dem Hut.
Der Sonntagsnachmittags-Auftritt im KulturGüterBahnhof ist Hayleys erstes Gastspiel in Langenberg, kurioserweise aber nicht ihr erster Aufenthalt in der ostwestfälischen Gemeinde. Bereits fünf Tage zuvor hatte sie an einem konzertfreien Tag für ihre erste und einzige Probe mit ihrem neuen Mitstreiter im KGB Station gemacht, und deshalb ist ihre Rückkehr für sie nun so etwas, „wie nach Hause zu kommen“. Ganz abgesehen davon: Dass sich der Aufwand gelohnt hat, ist vom ersten Ton der Show an unüberhörbar.
Zugegeben, im ersten Moment scheint die Stromgitarre, zu der Toke immer wieder greift, besser dazu geeignet zu sein, die Geister der Vergangenheit zu vertreiben, als Lap Steel und Dobro. Doch letztlich bedeutet selbst sanft countryesker Twang einen Ausbruch aus Hayleys Dasein als Folk-Solistin – und das tut dem Auftritt spürbar gut. Während man bei Hayleys letzter Tournee im vergangenen Frühjahr noch das Gefühl hatte, eine Wiederholung der hinreißenden Vor-Pandemie-Konzerte zu erleben, sorgt der Begleiter an ihrer Seite nun für zwei wichtige Veränderungen: Zum einen sorgt er für ein deutlich volleres, betont facettenreiches Klangbild. Zum anderen – und das ist vielleicht sogar noch entscheidender – sorgt er für eine herrlich gelöste Stimmung auf der Bühne. Den beiden steht die Freude über das gemeinsame Musikmachen oft förmlich ins Gesicht geschrieben, und Hayley scheint auch sehr glücklich darüber zu sein, dass sie die Show nicht mehr allein stemmen muss. Das ist nicht zu unterschätzen.
Während man Hayley im Vorjahr bisweilen anmerken konnte, dass sie ihre Lieder – und die dazugehörigen, nicht selten ausufernden Ansagen – ganz sicher nicht zum ersten Mal auf die Bühne bringt, sorgt der Novelty-Effekt der erst wenige Tage zuvor geborenen Kollaboration mit Toke nun dafür, dass selbst die ältesten Lieder im Set wie „Bethany“, „Booze And Blueberries“ oder „Awake In Berlin“ („Nicht zu verwechseln mit meinem kommenden Song ‚Awake In Langenberg’“, scherzt sie) in einem neuen Licht erscheinen. Das gleicht ein bisschen die nüchterne Sachlichkeit aus, die sich zwischen den Songs einschleicht und nun den jugendlichen Elan sowie die „Klassenfahrt-Vibes“ ihrer frühesten Auftritte in Europa ersetzt.
Im Mittelpunkt steht natürlich auch dieses Mal Hayleys Talent als empathische Geschichtenerzählerin. Oft scheint es, als würde sie nicht mehr tun, als mit offenen Augen durch das Leben zu gehen und abzuwarten, bis ihr die Songs praktisch vor die Füße fallen. Zwar erwähnt sie explizit, dass ihre 2019 erschienene EP „Where I Know You“ von Menschen aus ihrem engsten Umfeld inspiriert ist, aber auch bei vielen anderen Songs erzählt sie von Begegnungen oder Gesprächsfetzen, die als Initialzündung für die Lieder ihres aktuellen Albums „After Everything“ dienten. So wurde etwa „Bone Dance“ durch ein Zitat ihrer Nachbarin ins Rollen gebracht, und danach schrieb sich dieses Liebeslied für ihre Wahlheimat, den kleinen Fischerort Gloucester in Massachusetts, fast wie von selbst.
Dass ausgerechnet „In My Country“, eine von einem Gespräch mit einem Fremden in einem Bus inspirierte Nummer, die so brandneu ist, dass Hayley sie allein spielt, die mit Abstand eindringlichste, herzergreifendste Performance des gesamten Auftritts ist, unterstreicht die Vermutung, dass der Reiz des Neuen inzwischen ein wichtiger kreativer Motor für Hayley ist.
Als der Auftritt nach etwas mehr als 80 Minuten ausklingt, ist diese Tournee zwar zu Ende, aber lange muss das deutsche Publikum trotzdem nicht ohne Hayley auskommen. Schon im Juli ist sie für das Static-Roots-Festival in Oberhausen zurück in diesen Breiten, und nach diesen feinen Auftritt in Langenberg können wir nur sagen: Das sollte man sich nicht entgehen lassen!