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Stimmungsvoller Auftakt der Supercolor-Tour
Die Geschichte ist zu niedlich, um hier nicht noch einmal nacherzählt zu werden. Wir schreiben das Jahr 2006. An einem Berliner Gymnasium fällt der Sportunterricht aus. Fünf Schüler hocken zusammen, haben die Idee, eine Band zu gründen. Zehn Jahre werden sie sich ausprobieren, die Bandnamen wechseln und eine EP veröffentlichen. Per Knickzettelmethode haben sie sich schließlich auf Von Wegen Lisbeth geeinigt und 2016 landet ihr Debüt „Grande“ gleich in den Charts. Ein Album, das tatsächlich so großartig ist, dass deren Knaller wie „Meine Kneipe“, „Sushi“, „Chérie“ oder „Wenn sie tanzt“ im gut besuchten Capitol besonders bejubelt und vor allem textsicher mitgesungen werden. Von Wegen Lisbeth feiern einen gelungenen Start in ihre Supercolor-Tour, die sie durch Deutschland, Österreich und die Schweiz führen wird.
Als Support haben sich Von Wegen Lisbeth die Berlinerin Singer/Songwriterin und Gitarristin Laura Lee ausgesucht, die mit dem psychedelisch angehauchten Garagen-Rock-Duo Gurr einen gewissen Bekanntheitsgrad erreichte. Lisbeth-Frontmann Matthias Rohde freut sich über deren Spontaneität, schließlich habe man erst ein paar Tage zuvor angefragt. Lee und ihre drei Jettes an Gitarre, Bass und Schlagzeug legen ein energetisches halbstündiges Set hin, irgendwo zwischen Indie-Rock, Grunge und monoton-hypnotischen Instrumentalpassagen à la Can. „Maternity-Krautrock“ hat Laura Friedrich alias Laura Lee ihren Stil spaßeshalber getauft, auch weil sie seit drei Jahren Mutter sei, wie sie stolz betont. Sie staunt über den riesigen Luftballon, der über der Bühne hängt und auf dem sich der Saal spiegelt.
Darunter bleiben Von Wegen Lisbeth überwiegend in nebelgeschwängerter Dunkelheit. Zwar zucken allerlei Scheinwerferkegel über die Bühne und zahlreiche Neonlichtstäbe flackern in wechselnden Farben. Die Musiker sind aber meist eher schemenhaft zu erkennen. Wenn sie aber Klangexkursionen aus „Astronomy Domine“-Tagen aus dem Synthesizer holen, erinnert das an Pink Floyds Auftritte im Londoner UFO-Club. Oder gar an den Space-Rock von Hawkwind, wenn es dröhnt und blubbert wie aus der „Silver Machine“. Von Wegen Lisbeth haben an drei Bühnenorten ihre Keyboards aufbauen lassen, sie prägen das Soundbild, das sich aber auch gern den zappeligen Rhythmen der Neuen Deutschen Welle nähert – dem guten Teil davon freilich.
Matthias Rohde, der zwischendurch auch die Tasten drückt, spielt Akustik- und E-Gitarre und streut als Leadsänger kleine Zwischenmoderationen ein. So beklagt er die Einschränkungen für freies Forschen in den USA oder fragt sich, ob in unserer schnelllebigen Zeit die Songtexte in einigen Jahren überhaupt noch Sinn ergäben. Denn ja, die Lyrics greifen Aktuelles aus unserer Gesellschaft auf. Alltagsbegebenheiten und Konsumkritik, gescheiterte Beziehungen und kleine Fluchten. „Meine Kneipe“ mit dem Keyboarder Robert Tischer am Saxofon ist eine herrliche Mischung aus forderndem Sprechgesang und kollektivem Mitgrölen. Da muss die Botschaft an die Verflossene ankommen: „Mach, was du willst. Aber bring‘ nie wieder deine neuen Freunde in meine Kneipe.“ Wenn später auch „Meerschein“ voller Inbrunst mitgesungen wird, ist Rohde vollends begeistert von dem euphorischen Publikum. Und als wollten sie das Lob noch toppen, wird der Refrain von „Elon“ geradezu herausgebrüllt: „Elon Musk kommt nicht ins Berghain/Ach, Elon, Elon, nein, nein, nein/So lassen die dich da nicht rein/Ich weiß, es ist total gemein.“ Humorvolle Kapitalismuskritik mit Bezug zur Tesla-Fabrik in Brandenburg. „Was ist heute so passiert?“ singt Rohde in „Bitch“, dessen Titel die Band heute bedauert, über die Verquickung von Sommerloch-News („Killerwels im Schlachtensee“) und Beziehungsstress. „Sushi“ stellt Weltbewegendes neben Banales („Gut zu wissen, dass dein Apfelschäler rot ist und dass du traurig bist, weil jetzt Mandela tot ist.“) und mokiert sich über das unsägliche Essen-Posten: „Lina, ich will dein Sushi gar nicht sehen.“ In „Wieso“ ist das Handy im Gelben Sack gelandet und Mails werden verweigert – unterlegt von Synthie-Salven Marke „Jump“ und hallenden 80er-Jahre-Drums. Ein Walzer übt schunkelnd Konsumkritik, denn „Drüben bei Penny“ werden „Träume im XXL-Sparpaket“ feilgeboten. Mit der neuen Single „Mars“ gibt es einen Vorboten des vierten, im Dezember erscheinenden neuen Albums „Strandbad Eldena“.
Zwischen geistesverwandten Bands haben sich Von Wegen Lisbeth eingerichtet. Weniger krakeelig als Wanda, aber zupackender als Die Höchste Eisenbahn und musikalisch breiter aufgestellt als AnnenMayKantereit mit deren WG-Lyrik und ihrem charismatischen Sänger. Lisbeth finden das Besondere im Alltäglichen, erzählen darüber mit einer oft gelassenen und pathosfernen Lakonie. Neben Rohde und Tischer gehören zu Von Wegen Lisbeth noch Julian Hölting am Bass und Julian Zschäbitz am Schlagzeug. Dessen Bruder Dominik spielt Keyboards und Gitarre. Alle fünf stimmen in die Refrains ein – zusammen mit dem Publikumschor. Rohde gleitet immer wieder mühelos ins Falsett und fliegt in „EZ Aquarii“ damit ganz oben an der Milchstraße vorbei. Den dreiteiligen Zugabenblock schließt „Wenn sie tanzt“ ab. Da werden recht böse der frühere Banker Ackermann, die Ex-Kanzlerin Merkel, der immer etwas blasiert herüberkommende Journalist Jan Fleischhauer und der Potter-Bösewicht Voldemort in eine Reihe gestellt. Aber alles relativiert sich: „Nette Menschen, wenn du tanzt.“ Eines der ungewöhnlichsten Liebeslieder, und das „Ba-Ba-Ba-Baa“ aus dem Keyboard zitiert „Lady Madonna“ von den Beatles.
Ein Konzert, welches in der ersten Hälfte aufgrund des mächtigen Soundteppichs etwas erschlägt, zumal textlich wie instrumental manches Detail untergeht. Wer sich aber darauf einlässt, wird unweigerlich mitgezogen von der Begeisterung der Menge. Nach zwei Stunden auf die Ohren lässt sich ein wenig Ruhe genießen. Und vielleicht kommen einem die Worte von „Madame Tussauds“ in den Sinn, die den medialen Overkill und sinnfreies Gequassel beklagen: „Und zu manchen Dingen fällt ihm gar nichts ein/Und das beruhigt mich ungemein/Und dann genießen wir die Zeit unserer Sprachlosigkeit/Es kann so befreiend sein, damit nicht allein zu sеin.“ Wenngleich: Schaut man sich Schülergruppen auf Schulhöfen an, jeder auf sein „Schlauphone“ starrend, wünscht man ihnen Gespräche von Angesicht zu Angesicht.























